Kategorie: <span>T.F. Familie</span>

Friedrich Fontane (1865 – 1941)

Der letzte Sohn

Ich wurde als siebtes und letztes Kind von Theodor Fontane und dessen Ehefrau Emilie geboren. Als ich zur Welt kam, waren sie bereits 14 Jahre verheiratet. Ich erhielt den Namen des großen Königs Friedrich, genannt wurde ich aber stets nur „Friedel“. Wenn Sie schon einmal in Neuruppin waren, dann haben Sie mich sicher auf dem Denkmal sitzen gesehen, das – wie es auf einer Bronzetafel heißt – „dem Dichter der Mark“ gewidmet ist. Ja, es soll meinen Vater als ruhenden Wanderer mit Notizheft in der Hand und Blick in die Ferne darstellen. Aber der Bildhauer Max Wiese benutzte mich, seinen Sohn, 1907 als Modell für dieses Denkmal, denn die Ähnlichkeit mit meinem Vater war tatsächlich verblüffend. 

Ausgebildet wurde ich zum Buchhändler. Das fand in der Verlagsbuchhandlung von Langenscheidt statt. Als ich in das Unternehmen kam, beging man das 25-jährige Verlagsjubiläum und hatte gerade die Herausgabe eines umfangreichen Französisch-Wörterbuches abgeschlossen. Das literarische Talent meines Vaters war mir nicht gegeben. Aber nichtsdestotrotz wollte ich im Buchgeschäft reüssieren. Auch wenn mich mein Vater dafür nicht für geeignet hielt, gründete ich im Dreikaiserjahr 1888 einen eigenen Verlag. Nach und nach kaufte ich die Rechte an einzelnen Werken meines Vaters auf (sie lagen zum Teil bei irgendwelchen Zeitungsverlagen) und sorgte für eine angemessene Herausgabe.

Schon nach wenigen Jahren konnte der Verlag ein bedeutendes Programm vorweisen und gehörte zu den angesehensten Verlagshäusern von Berlin. Vor allem mit zeitgenössischer Belletristik machten wir uns einen Namen. Nach dem Tod des Vaters gaben wir zwischen 1904 und 1910 seine Werke in 21 Bänden heraus. Auch wenn ich dafür viel Kritik einstecken musste, setzte ich die verlegerische Arbeit mit den Werken meines Vaters fort. Allerdings verwaltete seit Kriegsende der S.Fischer-Verlag die Rechte an den Werken. In den folgenden Jahren unterstützte mich mein Bruder Theodor (junior). Als allerdings 1928 die Schutzfrist für die Werke des Vaters 

auslief, versiegten die Tantiemen und der Verlag geriet in schwere Wasser. Schließlich ging er in der Weltwirtschaftskrise wie so viel andere Unternehmen in Konkurs.

Ein anderes Thema ist die Verwaltung des umfangreichen Nachlasses des Vaters. Unsere Mutter hatte den Schreibtisch, an dem er seine Romane schrieb, dem Märkischen Museum geschenkt. Die Besitz- und Urheberrechte am Fontane-Nachlass vermachte sie den drei Kindern. Leider trug das dazu bei, dass er in alle Winde zerstreut wurde und in der Folge wieder mühsam zusammengetragen werden musste. Mein Bruder Theodor (junior) und ich setzten alles daran, die in den ersten Jahren nach seinem Tod teilweise verstreuten Manuskripte wieder zusammenzuführen und ein Archiv aufzubauen. Allerdings gelang es uns nicht, die dafür erforderlichen Mittel aufzutreiben. Auch ein Angebot an die Preußische Staatsbibliothek blieb erfolglos. 

Nach dem Tod meines Bruders im Jahr 1933 blieb mir nichts anderes übrig, als den Nachlass versteigern zu lassen. Erneut wurden die Schriften des alten Fontane in alle Welt verstreut. 1936 konnte das, was vom Nachlass noch übrig war, in das Brandenburgische Schrifttumsarchiv übernommen werden. Damit war der Grundstein für das heute in Potsdam bestehende Theodor-Fontane-Archiv gelegt. Allerdings musste es am Ende des Zweiten Weltkriegs erneut schmerzhafte Einbußen hinnehmen. 

Martha Fontane (1824 – 1902)

Die geliebte Tochter

Von den sieben Kindern der Eheleute Theodor und Emilie Fontane war ich die einzige Tochter. Ich war gleichermaßen Lieblingskind und Sorgenkind. Bekannt wurde ich nur als „Mete“. Auch ich gehörte zu denen, die eine ausführliche Korrespondenz mit den Eltern führten. Die begann bereits, als ich die Jahre 1870 und 1871 bei einer befreundeten Familie in London zubrachte. Als ich wieder nach Hause kam, konnte ich neben französisch nun auch perfekt englisch sprechen. Anschließend besuchte ich eine höhere Mädchenschule, um anschließend in der Musikerfamilie von Stockhausen als Haustochter zu fungieren. Das ist in etwa das, was Sie heute als Au-pair bezeichnen. Ich war quasi ein Familienmitglied. 

Danach erwarb ich im staatlichen Lehrerinnenseminar die Voraussetzung, um später als Lehrerin arbeiten zu können. Doch zunächst verschlug es mich in die pommersche Einöde. Vier Jahre lang unterrichtete ich dort als Hauslehrerin die Kinder der Familie von Mandel im neumärkischen Klein Dammer. Aus dem klassizistischen Gutshaus schrieb ich viele Briefe an meine Eltern, in denen ich auch darüber klagte, wie eine ländliche Gouvernante ohne gesellschaftliche Anerkennung im Kreis von Landjunkern mit riesigem Standesdünkel behandelt zu werden. Im Jahr 1884 war ich endlich wieder in Berlin und unterrichtete an einer höheren Mädchenschule in der Potsdamer Straße, nicht weit von der Wohnung meiner Eltern entfernt. 

Ich erzähle Ihnen das alles um zu zeigen, dass ich durchaus ein eigenes Leben hatte, bevor ich in den Haushalt meiner Eltern zurückkehrte. In der Mansardenwohnung in der Potsdamer Straße 134 zog ich in eine kleine Stube, die ursprünglich offenbar für Hausangestellte geplant war. Genau diese Rolle sollte ich als „alte Jungfer“ in den folgenden Jahren spielen. Mein Vater schrieb über mich an einen Freund: „Wir können Martha kaum missen, da sie, so sauer es ihr oft werden mag, doch immer noch die Einzige ist, die die Hausrepräsentation leisten kann.“ Ich wurde gebraucht „wie der Blinde seinen Stab“. Hinzu kam, dass mein Vater sehr kränkelte und stets eine helfende Hand benötigte. Die Folge war eine ständige nervliche Überreizung, die zu Schlaflosigkeit, Migräne, Depression und Angstzuständen führte. 

Auch Kuraufenthalte, mal an der See, mal im Gebirge, brachten keine Abhilfe. Das Jahr 1892 blieb bei mir in besonders schlimmer Erinnerung. Es begann im Frühjahr bei ihm mit einer starken Grippe. Es folgten Depressionen nach einer Morphium-Behandlung. Selbst Briefeschreiben fiel ihm sehr schwer. Wir machten uns Sorgen, dass eine geistige Umnachtung folge könnte. Die Hoffnung auf Linderung während einer langen Sommerfrische im Gebirge erfüllte sich nicht. Dann kam unser Arzt auf eine „verrückte“ Idee: Er erklärte den Patienten für körperlich gesund, nur seine Psyche leide noch. Als Medizin verschrieb er ihm die Schriftstellerei. So machte sich mein Vater an seine „Kindheitserinnerungen“ – und war bald fast gesund.

Doch nicht nur als Haushaltshilfe war ich meinem Vater nützlich. Es heißt, ich diente ihm auch als Vorbild für einige seiner Frauenfiguren, wie die Corinna in „Frau Jenny Treibel oder die Melusine in „Der Stechlin“.  Das sind Frauen, die relativ emanzipiert sind und ein gutes Maß Charme besitzen. Ich war es, die den Vater leblos auf seinem Bett vorfand. Ein Brief an meine Mutter, die gerade eine Freundin besuchte, konnte er nicht mehr vollenden. Nach dem Tod des Vaters heiratete ich 1899 den Architekturprofessor und zweifachen Witwer Karl Emil Otto Fritsch. Mit ihm zog ich drei Jahre später nach Waren an der Müritz. Dort starb mein 22 Jahre älterer Mann und ich stürzte 1917 vom Balkon und starb ebenfalls. Noch immer wird gerätselt, ob es Suizid oder Unfall war.

Emilie Fontane (1824 – 1902)

Die Frau an seiner Seite

Es heißt, ich war schon als Kind schwer zu bändigen und auch als erwachsener Mensch launisch und nicht immer leicht zu ertragen. Aber wie sollte ich auch anders geworden sein: als unehelich und nicht gewollt auf die Welt gekommen, als Kind zur Adoption freigegeben und größtenteils aufgezogen von Dienstmädchen, die nur ihre eigenen Vergnügungen im Kopf hatten. Immerhin erhielt ich eine solide Schulbildung, von der ich lebenslang zehren konnte.  Als ich 20 war, erklärte ein Apothekerlehrling namens Theodor Fontane uns als Verlobte. Das geschah auf der früheren Weidendammer Brücke, die heute als „Teufelsbrücke“ im Eberswalder Messingwerkhafen vor sich hin rostet. Aber bis zur Heirat ließ er ganze fünf Jahre vergehen. In dieser Zeit musste ich sehen, wo ich eine Bleibe finde. Zum Glück nahmen mich auch Theodors Eltern zeitweise auf. 

Theodor fand einfach keine Anstellung, die ihm die Gründung einer Familie ermöglichte. Vielleicht kümmerte er sich einfach nicht genug. Obwohl er dieses Ziel nach fünf Jahren immer noch nicht erreicht hatte, heirateten wir im Oktober 1850. Auch die gerade von mir ersehnte Anstellung im “literarischen Kabinett“ des Innenministeriums – Sie würden heute PR-Abteilung dazu sagen – brachte nicht das erhoffte Ergebnis. Zumal, er hasste diese Arbeit: „Man kann nun mal als anständiger Mensch nicht durchkommen“, schrieb er. So lebten wir jahrelang hart am Rand der Armut. Immer wieder mussten wir in stets kleinere Wohnungen wechseln. Sieben Kinder habe ich zur Welt gebracht. Drei davon sind allein in den ersten fünf Ehejahren gestorben. 

Gern denke ich an die eineinhalb gemeinsamen Jahre in London zurück, wo Theodor ein geregeltes Einkommen hatte und wir mit zwei Söhnen eine gute Zeit verlebten. Sogar ein Häuschen konnten wir mieten. Aber das Glück hielt nicht lange. Obwohl ich das Leben in der Weltstadt zu genießen wusste, erlitt ich dennoch eine starke Sehnsucht nach der Heimat. Auch danach musste ich immer wieder die Sprunghaftigkeit meines Ehemannes aushalten. Seine Kündigung bei der „Kreuzzeitung“ und bei der Akademie der Künste waren nur die Spitze des Eisberges. Sein lapidarer Kommentar: „Sicherheit is nich“. Als endlich Theodors erster Roman „Vor dem Sturm“ erschien, den er anderthalb Jahrzehnte zuvor begonnen hatte, konnte er im Alter von 59 Jahren seinen Erfolg genießen. Er hatte nun zu seinem Metier als Romancier gefunden. Ich sah ein, dass all die Quälerei der vielen Jahre einen Sinn gehabt hatte. Mir war nun klar, dass zum häuslichen Glück gehört, „dass der Mann in seiner Tätigkeit glücklich und unbehindert ist“. 

Aber denken Sie nicht, dass ich lediglich sein Dienstmädchen und die Erzieherin seiner Kinder war. Ich war – bescheiden gesagt – ein Teil seiner literarischen Produktivität. Da kaum jemand außer mir seine Handschrift lesen konnte, musste ich alle seine Manuskripte abschreiben. Stellen Sie sich die 20-bändige Gesamtausgabe vor – und Sie ahnen, was ich geleistet habe. Meine Meinung zu seinen Texten interessierten ihn durchaus. Wir führten in den Zeiten seiner häufigen Abwesenheit einen regen Briefwechsel. Rund 180 Briefe zwischen uns blieben erhalten. Sie sind Zeugnisse eines erfüllten Lebens. „Es war ein schönes Leben mit ihm, und ich würde es gleich noch einmal beginnen.“ Selbst durfte ich meinen Mann um vier Jahre überleben. Ich war sogar bei der Jahrhundertwende dabei, die Theodor so gern auch als Aufbruch in eine neue Zeit miterlebt hätte. Begraben wurde ich in einem Ehrengrab mit meinem Mann Theodor auf dem französisch-reformierten Friedhof in Berlin-Mitte.

Louis Henri Fontane (1796 – 1867)

Ein schwieriger Vater

Ich bin der Vater von Theodor Fontane. Für die Nachwelt ist das wohl nichts, womit ich mich brüsten könnte. Selbst mein Sohn hat nicht nur Schmeichelhaftes über mich in die Welt gesetzt. Ganz anders denke ich an meinen Vater zurück. Pierre Barthélemy Fontane war ein musischer Mensch, aber auch ein sehr preußisch-pflichtbewusster. Hätte er es sonst zum Kabinettssekretär bei unserer geliebten Königin Luise gebracht und hätte man ihn während der französischen Besetzung mit der Aufsicht über Schloss Schönhausen betraut? Ich habe sogar meine Apothekerlehre vorzeitig abgebrochen, um gegen die Besatzungstruppen ins Feld zu ziehen. 

Ich war in der ersten großen Schlacht der Befreiungskriege bei Großgörschen dabei. Und das, obwohl ich Napoleon zeitlebens verehrt habe. Zum Glück konnte ich unversehrt aus dem Krieg zurückkommen, mein Staatsexamen als Apotheker ablegen und heiraten. Emilie Labry stammt ebenfalls aus einer hugenottischen Familie und war eine richtig gute Partie. Dazu kam, dass mir mein Vater einen Kredit gab, damit wir uns in Neuruppin eine Apotheke in bester Lage kaufen konnten. Neun Monate nach unserer Heirat kam in der „Löwen-Apotheke“ Sohn Henri Théodore auf die Welt. Er selbst nannte sich einfach Theodor.

Emilie hatte sich in mein heiter-temperamentvolles Wesen verliebt. Sie hatte nicht bedacht, dass damit allerdings ein gutes Quantum Leichtsinn verbunden war. Ich vertraute eher auf das Glück als auf kaufmännisches Geschick. Gut mit Geld umzugehen, war mir nicht gegeben. Also konnte ich ihr kein sicheres Leben bieten. Ich meinerseits hatte nicht bedacht, dass Emilies Ernsthaftigkeit und ihr Pflichtbewusstsein meinem Charakter vollkommen entgegenstand. Ich sage es gleich: Ich war nicht der Mann, der seine Frau glücklich machen konnte. Dass wir uns 1850 trennten, war keine Überraschung. In der Ehe verbunden blieben wir dennoch. Trotzdem liebte ich sie bis an mein Lebensende. Da war viel Tragik im Spiel. Trotzdem hatten wir auch glückliche Zeiten. In Neuruppin gehörte ich zu den Honoratioren der Stadt. Obwohl ich weder ein gelehrtes Studium absolviert hatte, noch einen akademischen Titel trug, war ich meist der Mittelpunkt der Gesellschaft. Mit meinen umfangreichen Kenntnissen der Geschichte und meinem Talent, dieses Wissen in lustigen Anekdoten zum Besten zu geben, fand ich immer wieder erfreute Zuhörer. Aber – leider Gottes – die Treffen endeten allzu häufig im ausufernden Glücksspiel. 

Glück in der Liebe, Pech im Spiel – dafür war ich ein musterhaftes Beispiel. Dieses Laster wurde mein Ruin. Der kam allerdings schleichend. Von 1819 bis 1826 besaß ich die Löwenapotheke in Neuruppin, von 1827 bis 1837 die Apotheke in Swinemünde auf Usedom, von 1837 bis 1838 die Altstädter Apotheke in Mühlberg an der Elbe, und ab 1838 war ich Apothekenbesitzer in Letschin im Oderbruch. Die Orte wurden immer kleiner, die Apotheken immer armseliger. Leider kam Theodor in manchem nach mir. Auch er war unstet, wechselte vor allem in jungen Jahren immer wieder seine Arbeitsstätten; auch er war stets in Geldnot und schwankte hinsichtlich seiner Lebensbestimmung. Dass ich ihn zum Apotheker ausbilden ließ, hat er mir zeitlebens verübelt. Erst als er sich als angesehener Schriftsteller etablieren konnte, fanden wir zu einem guten Vater-Sohn-Verhältnis. 

Er besuchte mich regelmäßig in Schiffmühle, wo ich meine letzten Jahre verbrachte. Von hier aus unternahm er viele Touren für sein Wanderungen-Buch.