Martha Fontane (1824 – 1902)
Die geliebte Tochter
Von den sieben Kindern der Eheleute Theodor und Emilie Fontane war ich die einzige Tochter. Ich war gleichermaßen Lieblingskind und Sorgenkind. Bekannt wurde ich nur als „Mete“. Auch ich gehörte zu denen, die eine ausführliche Korrespondenz mit den Eltern führten. Die begann bereits, als ich die Jahre 1870 und 1871 bei einer befreundeten Familie in London zubrachte. Als ich wieder nach Hause kam, konnte ich neben französisch nun auch perfekt englisch sprechen. Anschließend besuchte ich eine höhere Mädchenschule, um anschließend in der Musikerfamilie von Stockhausen als Haustochter zu fungieren. Das ist in etwa das, was Sie heute als Au-pair bezeichnen. Ich war quasi ein Familienmitglied.
Danach erwarb ich im staatlichen Lehrerinnenseminar die Voraussetzung, um später als Lehrerin arbeiten zu können. Doch zunächst verschlug es mich in die pommersche Einöde. Vier Jahre lang unterrichtete ich dort als Hauslehrerin die Kinder der Familie von Mandel im neumärkischen Klein Dammer. Aus dem klassizistischen Gutshaus schrieb ich viele Briefe an meine Eltern, in denen ich auch darüber klagte, wie eine ländliche Gouvernante ohne gesellschaftliche Anerkennung im Kreis von Landjunkern mit riesigem Standesdünkel behandelt zu werden. Im Jahr 1884 war ich endlich wieder in Berlin und unterrichtete an einer höheren Mädchenschule in der Potsdamer Straße, nicht weit von der Wohnung meiner Eltern entfernt.
Ich erzähle Ihnen das alles um zu zeigen, dass ich durchaus ein eigenes Leben hatte, bevor ich in den Haushalt meiner Eltern zurückkehrte. In der Mansardenwohnung in der Potsdamer Straße 134 zog ich in eine kleine Stube, die ursprünglich offenbar für Hausangestellte geplant war. Genau diese Rolle sollte ich als „alte Jungfer“ in den folgenden Jahren spielen. Mein Vater schrieb über mich an einen Freund: „Wir können Martha kaum missen, da sie, so sauer es ihr oft werden mag, doch immer noch die Einzige ist, die die Hausrepräsentation leisten kann.“ Ich wurde gebraucht „wie der Blinde seinen Stab“. Hinzu kam, dass mein Vater sehr kränkelte und stets eine helfende Hand benötigte. Die Folge war eine ständige nervliche Überreizung, die zu Schlaflosigkeit, Migräne, Depression und Angstzuständen führte.
Auch Kuraufenthalte, mal an der See, mal im Gebirge, brachten keine Abhilfe. Das Jahr 1892 blieb bei mir in besonders schlimmer Erinnerung. Es begann im Frühjahr bei ihm mit einer starken Grippe. Es folgten Depressionen nach einer Morphium-Behandlung. Selbst Briefeschreiben fiel ihm sehr schwer. Wir machten uns Sorgen, dass eine geistige Umnachtung folge könnte. Die Hoffnung auf Linderung während einer langen Sommerfrische im Gebirge erfüllte sich nicht. Dann kam unser Arzt auf eine „verrückte“ Idee: Er erklärte den Patienten für körperlich gesund, nur seine Psyche leide noch. Als Medizin verschrieb er ihm die Schriftstellerei. So machte sich mein Vater an seine „Kindheitserinnerungen“ – und war bald fast gesund.
Doch nicht nur als Haushaltshilfe war ich meinem Vater nützlich. Es heißt, ich diente ihm auch als Vorbild für einige seiner Frauenfiguren, wie die Corinna in „Frau Jenny Treibel“ oder die Melusine in „Der Stechlin“. Das sind Frauen, die relativ emanzipiert sind und ein gutes Maß Charme besitzen. Ich war es, die den Vater leblos auf seinem Bett vorfand. Ein Brief an meine Mutter, die gerade eine Freundin besuchte, konnte er nicht mehr vollenden. Nach dem Tod des Vaters heiratete ich 1899 den Architekturprofessor und zweifachen Witwer Karl Emil Otto Fritsch. Mit ihm zog ich drei Jahre später nach Waren an der Müritz. Dort starb mein 22 Jahre älterer Mann und ich stürzte 1917 vom Balkon und starb ebenfalls. Noch immer wird gerätselt, ob es Suizid oder Unfall war.