Kategorie: <span>Geisterstunde auf Sanssouci</span>

Albert Einstein (1879 – 1955)

Genies hatten es nicht immer leicht

Sind Sie von allen guten Geistern verlassen, ausgerechnet von mir eine Wertung Friedrichs des Großen zu erwarten? Ich hatte mit diesem Gernegroß nie viel am Hut und noch weniger mit den Hurra-Patrioten, die ihn zu meiner Zeit als ihren Heiland feierten.  Aber Sie wollen von mir ja nicht wissen, was ich von seinen Schlachten hielt. Die sind von Heerscharen an Militärhistorikern ohnehin besser erforscht als die Bedeutung der Milchsäurebakterien fürs Brotbacken.  Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es für mich gewesen sein musste, unter Friedrichs Fuchtel zu leben. 

Ja, es hätte noch viel schlimmer kommen können. Im Gegensatz zu seinem Vater, dem „Soldatenkönig“, zollte er den Männern der Wissenschaft immerhin einen gewissen Respekt. Das traurige Schicksal des gelehrten Jakob Gundling, der in der Männerrunde des Tabakskollegiums zum Hofnarren gemacht wurde, wäre an der Tafelrunde Friedrichs nicht denkbar gewesen. Der schmückte sich gern mit Geistesgrößen. Er empfand sich in ihrer Gesellschaft als Gleicher unter Gleichen – naja, Fast-Gleichen.  Nehmen wir den großen Pierre-Louis Moreau de Maupertuis, ein Universalgenie, Mitglied der Akademien in Paris und London! Mathematiker, Astronom, Philosoph. Er war durch eine Lappland-Expedition zu Berühmtheit gelangt. Friedrich wollte ihn aber unbedingt nach Berlin holen. Also schrieb er ihm: „Sie haben der Menschheit die Gestalt der Erde gezeigt – zeigen Sie auch einem König, wie süß es ist, einen Mann wie Sie zu besitzen.“ Besitzen! – da fällt mir nichts mehr dazu ein. 

Wissenschaftlich konnte Friedrich mit Maupertuis sowieso nichts anfangen. So geriet der arme Mann in das Netz der Intrigen am preußischen Hof und kehrte Berlin schließlich den Rücken. Als letzte Aufmerksamkeit verlieh ihm der König noch den Orden Pour le Mérite, gestiftet für besondere Tapferkeit im Krieg. Oder schauen wir auf das Schicksal von Leonhard Euler. Ein Mathematiker, vor dem ich ganz tief den Hut ziehe.  Alles, was einem bei hoher Mathematik so einfällt, ist ihm schon durch den Kopf gegangen. Seine Werke füllen Bibliotheken. Und wozu benutzte ihn der „große“ Friedrich? Zum Ausrechnen der Fließgeschwindigkeit der Kanäle im trockengelegten Oderbruch. Und für die Weiterentwicklung der Ballistik. Zum Glück hat zu Eulers Zeiten niemand behauptet, er hätte die Kanone erfunden, so wie man mir nachsagte, ich hätte an der Atombombe mitgebaut.  Immerhin hat Euler ein Lehrbuch für Artilleristen geschrieben, das auch einem Napoleon Bonaparte als Studienlektüre diente. Eine populäre Einführung in die Mathematik und Physik hat er übrigens auch geschrieben. Meinen Sie jetzt, dass Friedrich der fragende Part war? Wo denken Sie hin, es war dessen Nichte, die Prinzessin Charlotte von Brandenburg-Schwedt. Euler war zwar Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften, aber für Friedrich war es unter seiner Würde, mit einem Deutschsprachler (Euler war von Geburt Schweizer) zu verkehren. Auch sie trennten sich im Zwist. Euler ging zur Zarin Katharina II. nach St. Petersburg.

Genügt Ihnen das, um Ihnen zu beweisen, dass es mir zu Zeiten des Alten Fritz nicht sonderlich gut ergangen wäre. Höchstwahrscheinlich wäre ich damals auch emigriert.  Aber ich muss sagen, dass die Jahre in Potsdam, als ich das schöne Sommerhaus am Hang in Caputh bewohnte, zu den schönsten meines Lebens zählten. Wie viel Freude hatte ich bei den Segeltörns in den Potsdamer Gewässern. Und dass es die anmutige Havel-Landschaft war, die auch Friedrich II. nach Potsdam zog, könnte mich, den Pazifisten, sogar mit diesem verknöcherten Bellizisten versöhnen. 

Zwei Dinge sollte ich noch anfügen. Erstens gab es einen Astronomen, der 1782 ein Sternbild „erfand“, das er „Honores Friderici“ (Zu Ehren Friedrichs) nannte. Zum Glück geriet es schnell in Vergessenheit. Und zweitens: Mein Name ist Albert Einstein. Und dass ein Observatorium auf dem Potsdamer Telegrafenberg meinen Namen trägt, ehrt mich sehr. Gearbeitet habe ich dort jedoch nicht.

Otto Gebühr (1877 – 1954)

Ich war der Alte Fritz

Mein Name ist Otto Gebühr, ich wurde 1877 geboren und starb 1954. Von Beruf war ich Schauspieler. Bevor wir über mich und Friedrich den Großen sprechen, möchte darauf hinweisen, dass mich der große Max Reinhardt 1917 an sein Deutsches Theater geholt hat. Ich war dort auf dem Olymp deutscher Schauspielkunst! Bevor ich allerdings in derartige Rollen hineinwachsen konnte, hatte mir das Schicksal einen anderen Weg gewiesen.  Mein Schicksal hieß Friedrich, der große König. Erst war es ein belangloser Stummfilm über die Tänzerin Barberina, dann aber die vier Teile des Fridericus-Rex-Epos.  Ich spielte dort den jungen Kronprinzen, der vom Vater drangsaliert wird, ebenso den jungen, draufgängerischen König, wie auch den strengen, aber gütigen Landesvater. 

Das klappte ganz gut, denn wir stellten ja vor allem die Bilder nach, die die Leute längst in ihrem Kopf gespeichert hatten – nämlich die von Adolph Menzel. Seine monumentalen Gemälde – das Flötenkonzert von Sanssouci oder die Tafelrunde – und auch seine 375 Holzschnitte, die in Franz Kuglers Biografie enthalten sind. Es hat wohl nie wieder eine Biografie des großen Königs gegeben, die nur annähernd so viele Auflagen erlebt hat wie die Kuglers. 1930 hatte der Tonfilm seinen großen Durchbruch. „Das Flötenkonzert von Sanssouci“ war mit das erste, was aus den Kinolautsprechern zu hören war. Und wieder einmal hatte ich Glück: Ich konnte meiner Stimme jenen knarrenden Ton geben, von dem alle meinten, so habe Friedrich gesprochen. Mit den Jahren verlor mein Gesicht die anfänglichen runden Formen. Die Nase, die Augen, die Gesichtsfalte – ich wurde dem König immer ähnlicher. Eines Tages spielte ich nicht mehr Friedrich den Großen, ich war Friedrich der Große. 

Egal, was die Historiker über Friedrich schrieben – ich war sein Abbild. Wenn irgendwo ein neues Denkmal aufgestellt werden sollte, wenn ein Gemälde ausgestellt wurde – immer war ich der Maßstab für die authentische Darstellung. Natürlich auch auf der Bühne. Wenn jemand den großen König auf die Bretter bringen wollte, musste er sich geben wie Otto Gebühr. Den kannten alle, wer kannte schon Friedrich II.? Persönlich.  Es gibt da so eine Geschichte von einem Regisseur, der einen Friedrich-Darsteller suchte. Da kam einer herein mit Adlernase, stechenden Augen und forscher Stimme: „Na, sehe ich nicht aus wie Friedrich der Große?“ Darauf der Regisseur: „Sie sollen nicht wie Friedrich der Große, sondern wie Otto Gebühr aussehen.“  Ich weiß nicht, ob der gute Mann die Rolle bekam.

Wissen Sie, was mein größtes schauspielerisches Kunststück war? Es war dieser verschmitzte Seitenblick, mit dem ich dem Publikum deutlich machen konnte, dass der große König auch immer ein Mensch geblieben ist. Er war der Autokrat zum Anfassen, der Mensch, dem man gern durch Dick und Dünn folgen konnte. Ich konnte durch einen kurzen Augenaufschlag die Distanz zwischen denen da oben und denen da unten überwinden. Als Hitler diesen Trick begriffen hatte, den er bei aller eigenen Schauspielerei nie beherrschte, fand er die Fridericus-Filme schließlich ganz nützlich. Jahrelang hatte sich Goebbels für Friedrich im Kino stark gemacht. Aber der Österreicher mochte eben den Urpreußen nicht. Zum Schluss aber hatte er nur noch eine Hoffnung: so aus dem tiefen Schlamassel herauszukommen, wie einst Friedrich nach der Schlacht von Kunersdorf. Veit Harlan hatte in seinem Film „Der große König“ dafür die Folie geliefert. 

Dass ich zum Staatsschauspieler ernannt wurde und vor den Größen des Dritten Reiches in Friedrich-Uniform auftreten musste, möge man mir nachsehen. Wer so mit einer Rolle verschweißt ist, wie ich das war, darf nicht ausbrechen. Die Strafe wäre sein Untergang. Der kam ohnehin. Zwei Jahre lang wurde ich von den Alliierten mit Auftrittsverbot belegt, obwohl ich stets nur das aufgesagt habe, was andere mir aufgeschrieben hatten. Aber ich WAR ja der König von Preußen und das war abgeschafft.

Theodor Fontane (1818 – 1898)

Der Alte Fritz – na ja

Darf ich mich vorstellen? Theodor Fontane, geboren im Jahre 1819 zu Neuruppin. An der Schreibweise meines Namens können Sie erkennen, dass ich hugenottische Vorfahren hatte, die bereits mit der ersten Welle der Glaubensflüchtlinge aus Frankreich nach Brandenburg kamen. Sie können aber auch feststellen, dass sich meine Familie derart auf die neue Heimat eingelassen hat, dass sie ihr französisches „La Fontaine“ in ein deutsches Fontane umwandelte. Und das, obwohl der berühmteste französische Fabeldichter unseren ursprünglichen Namen trug. Aber soviel ich weiß, war ich der erste in meiner Ahnenreihe, der sich mit Schriftstellerei sein Geld verdiente. Mein Vater war Apotheker, wie ich zunächst auch.

Was ich mit Friedrich dem Großen zu tun habe? Was soll ich dazu sagen? Als literarische Figur war er mir zu fern. Er ist eine geschichtliche Figur und geht uns daher alle an. In meinen Wanderungen habe ich die Stätten seiner Jugendzeit besucht und beschrieben – im Oderland und im Ruppiner Land. Die Katte-Geschichte ist bei mir nachzulesen und die Kronprinzen-Jahre in Rheinsberg. Ich denke, ich habe damit meinen Beitrag geleistet. Denn meine Recherchen dienen heute noch allen möglichen Schreibern als Quelle. Nach dem Motto: Der Fontane hat’s gesagt, also ist es richtig. Ich selbst wäre da vorsichtiger. 

Was mit den „Preußen-Liedern“ ist, wollen Sie wissen? Mit diesen Versen hab ich den alten preußischen Haudegen ein Denkmal gesetzt, Friedrich selbst taucht dort nur als Nebenfigur auf. Da sind der Alte Dessauer, der Alte Zieten, Seydlitz, Schwerin, Keith. Mit meinen Gedichten habe ich die Kämpen nicht auf den Sockel gehoben. Im Gegenteil: Sehr menschlich hab ich sie präsentiert. So, wie zur gleichen Zeit der gute Adolf Menzel seine Zeichnungen der Friedrich-Ära angelegt hat. Geschrieben habe ich die Lieder nach der verlorenen 1848er Revolution, als das Nationalgefühl ein tiefes Tal durchlief. Da waren Helden rar und man musste sie im Vergangenen suchen. Und so habe ich dann gedichtet: „Sie kamen nie alleine, der Zieten und der Fritz, der Donner war der eine, der andre war der Blitz.“ 1850 ist das erschienen, in meinem ersten selbstständigen Buch. 

Wie haben Sie das herausgefunden, dass ich auch ein Gedicht zur Enthüllungsfeier des Friedrich-Denkmals Unter den Linden in Berlin verfasst habe? Ja, vielleicht war ich da ein bisschen zu „fritzisch  gesinnt“, wie ja selbst ein Goethe einst bekannte. Aber bedenken Sie bitte, 1851 hatten wir wirklich traurige Zeiten. Unser König Friedrich Wilhelm IV. war schwach und krank dazu. Da kam man eben auf solche Gedanken: „Blitz’ nur herab von Deiner Wacht, solch Wächter mag uns taugen: Wir brauchen wieder, Tag und Nacht, die Alten-Fritzen-Augen.“

Sie wissen selbst, dass ich später die preußischen Zustände wahrlich nicht glorifiziert habe. Keine Zeile habe ich über das Potsdam des Alten Fritz geschrieben. Ansonsten hätte ich schreiben müssen über den Mief, den die Friedrich-Epoche dort hinterlassen hat. „Das Wesen des Potsdamers, sage ich, besteht in einer unheilvollen Verquickung oder auch Nichtverquickung von Absolutismus, Militarismus und Spießbürgertum.“ Jetzt erkennen Sie ihn doch wieder, Ihren guten alten Fontane!

In Neuruppin mögen sie mich ja. In meinem Geburtshaus ist immer noch eine Apotheke zu finden, und sogar „Fontanestadt“ nennen sie sich. Auch ein Denkmal gibt es. Einen netten Ort haben sie mir ausgesucht: viel Grün drum herum und die Eisenbahn gleich daneben für den Fall, es zieht mich in die Ferne. „Dem Dichter der Mark“ haben sie drangeschrieben. Das klingt sehr nach Heimatdichter. Haben die nie meine Romane gelesen? Wenn es schon ein Denkmal sein muss – wenigstens sitzen darf ich. Ich freue mich jedes Jahr auf meinen Geburtstag am 30. Dezember, denn da kommen immer viele Leute, und manche kenne ich schon seit Jahren. 

Karl Friedrich Schinkel (1781 – 1841)

Sanssouci: von schlechtem Geschmack?

Mein Name ist Karl Friedrich Schinkel, geboren 1781 in Neuruppin.  Mein Vater war für das Kirchen- und Schulwesen im Ruppiner Land zuständig. Sie haben bestimmt von dem Stadtbrand im Jahr 1787 gehört, bei dem zwei Drittel aller Neuruppiner Häuser vernichtet wurden. Bei den Löscharbeiten holte sich mein Vater eine Lungenentzündung, an der er zwei Monate später verstarb.  Meine Mutter und ich kamen in das Predigerwitwenhaus, das wie durch ein Wunder von den Flammen verschont war. Während meiner Schulzeit erlebte ich Neuruppin als eine riesige Baustelle. Ich hätte lieber den Bauleuten bei ihrer Arbeit zugesehen, als zum Unterricht zu gehen. Besonders beeindruckte mich die präzise Planung der Arbeiten, die vom Stadtgrundriss bis zum einzelnen Mauerwerk reichten. Ein ganz junger Mann leitete den Aufbau: Friedrich Gilly. Wenn ich damals gewusst hätte, dass ich einst sein Schüler sein sollte! 

Aber ich will Ihnen ja von König Friedrich II. erzählen, der bei uns in Neuruppin zwischen 1732 und 1740 ein Regiment befehligte. Bis er ins Schloss Rheinsberg übersiedeln konnte, hatte er in Neuruppin eine Wohnung. Nebenbei kümmerte er sich um die Begrünung unserer Wallanlagen und legte sich selbst einen Garten an. Der erhielt einen Hügel, auf den sich der Kronprinz von seinem Freund Knobelsdorff einen Tempel setzen ließ.  Wenn Sie nach Neuruppin kommen, müssen Sie den Tempelgarten besuchen.  Hier entwickelte der Kronprinz sein Gespür für Landschaftsgestaltung, das sich letztlich auch in Potsdam-Sanssouci zeigt.

Obwohl ich erst fünf Jahre alt war, als der große König starb, hat er mein weiteres Leben stark geprägt.  Und das kam so. 1794 zog unsere Familie nach Berlin.  Rund drei Jahre später gab es hier eine große Ausstellung, in der die Pläne für ein würdiges Friedrich-Denkmal gezeigt wurden. An einem Wettbewerb hatten sich alle großen preußischen Architekten beteiligt – Schadow, Langhans, Hirt, Gentz und mein Idol aus Neuruppiner Zeiten: Friedrich Gilly. Sein Entwurf zeigte einen antiken Tempel auf einer Treppenanlage vor dem Potsdamer Tor. Hier, vor den Zeichnungen zum Friedrich-Denkmal, entschloss ich mich, Architekt zu werden.  Ein Jahr später bereits war ich Eleve an der Bauschule von Vater und Sohn Gilly. Keiner der Entwürfe wurde realisiert. Vielleicht war der geistige Abstand zum König noch nicht groß genug, um ihm ein Nationaldenkmal zu widmen.

Dann folgte ein Unglück dem anderen. Im Jahr 1800 starb das Baugenie Friedrich Gilly im Alter von nur 28 Jahren. Wenige Jahre später begannen die schweren Jahre der napoleonischen Herrschaft.  1819, als wieder Frieden eingekehrt war, begann die Besinnung auf nationale Größe. Damals kam wieder die Idee auf, Friedrich dem Großen ein Denkmal von würdigen Ausmaßen zu stiften. Diesmal wurde ich mit den Entwürfen betraut. Der regierende König Friedrich Wilhelm III. favorisierte eine Riesensäule wie die für den Kaiser Trajan in Rom. Ich entwarf einen mehrgeschossigen Turm, der von der Figur der Siegesgöttin gekrönt ist. Von dem Turm aus sollte der Besucher einen eindrucksvollen Rundum-Blick über das friderizianische Berlin haben. Doch auch dieser Plan wurde nicht verwirklicht.  Wohl, weil sich der König nicht entschließen konnte.

Was ich selbst von Friedrich II. halte? Aus architektonischer Sicht herzlich wenig.  Darf ich Ihnen vorlesen, was ich selbst über das Schloss Sanssouci geschrieben habe? Bitteschön: „Eine schwere Balustrade läuft am Dache umher und ist mit Skulpturen von Vasen und Kindergruppen in schlechtem Stil verziert. Die an der hinteren Seite liegende Kolonnade von korinthischen Säulen ist von ziemlich guten Verhältnissen, obgleich in der Hauptanordnung und den einzelnen Details nicht in gutem Geschmack.“ Aber – wie sich zeigte – hat meine Meinung die UNESCO nicht daran gehindert, Sanssouci auf die Liste des Weltkulturerbes zu setzen. Zum Glück befindet sich mein Altes Museum mitten in Berlin auf der gleichen Liste. Schließlich möchte ich anmerken, dass ich zu den Ehrengästen bei der Grundsteinlegung für sein Reiterstandbild Unter den Linden gehörte.

Adolph von Menzel (1815 – 1905)

Kunst oder was?

Geben Sie es zu, Sie hätten mich beinahe übersehen. Gewöhnen Sie sich gefälligst ab, Menschen nach ihrer Körpergröße zu bewerten! Mit meinen 1,34 Meter war ich jedenfalls ein Großer: Ehrendoktor der Berliner Universität, Ehrenbürger Berlins, St. Petersburgs und Breslaus, Träger des Kreuzes der französischen Ehrenlegion, Träger des Titels „Geheimer Rat“, Ernennung zum Ritter des Schwarzen Adlerordens und Erhebung in den erblichen Adelsstand. Genügt das fürs Erste? Mich selbst hat das alles nie beeindruckt. 

Haben Sie schon die Gedenkplatte gelesen, die an dem Haus angebracht ist, in dem ich 13 Jahre lang wohnte? Es steht in der Ritterstraße 43 in Berlin-Kreuzberg. Nach meinen Lebensdaten  – richtig: 1815 bis 1905 – heißt es dort, ich hätte „mit meinem zeichnerischen Werk das offizielle Bild der preußischen Geschichte zur Zeit Friedrichs des Großen“ geschaffen. Es gibt zwar keine offizielle Geschichte Preußens, aber ein offizielles Bild! Wie kann man nur solchen Unsinn verbreiten?

Ich gebe es gern zu: Dem Kaiser haben meine Bilder gefallen. Und ich habe einige staatstragende Gemälde im persönlichen Auftrag der Majestäten hergestellt. Aber ich habe in jedem dieser Aufträge stets eine künstlerische Aufgabe gesehen. Vergleichen Sie doch einfach einmal mein Gemälde von der Königskrönung zu Königsberg 1861 und das von Anton von Werner zur Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches 1871. Da werden Sie den Unterschied zwischen Kunst und Propaganda deutlich sehen. So viel dazu.

Aber jetzt zu Friedrich dem Großen. Ich habe ihm viel zu verdanken. Und er mir. Sein Andenken für alle Zeiten ist sehr stark von mir geprägt. Darauf bin ich stolz. Aber verwechseln Sie das bitte nicht mit einem „offiziellen Bild“. Es war zweifellos eine besondere Fügung, dass Franz Kugler und ich zusammenfanden, um eine volkstümliche und zeitgemäße Geschichte Friedrichs des Großen herauszugeben. Meine Bilder sollten sich in den Erzählstrom einfügen, ihn nicht aufhalten, auch nicht in andere Richtungen lenken. Das hieß für mich, mit meinen Zeichnungen genau so zu erzählen, wie es der Dichter mit Worten tat. Zwischen 1839 und 1842 fertigte ich fast 400 Holzstiche an. Das war eine erst junge Technik, bei der die Zeichnung auf grundiertes Hartholz aufgebracht wird und dann von hervorragenden Holzstechern als Druckplatte hergerichtet wird. Ich wollte mit meinen Illustrationen kleine Geschichten erzählen. Dafür musste die Hauptperson nicht immer im Mittelpunkt stehen. Die Zahl der handelnden Personen wurde damit riesig. Aber gleichzeitig wurde der König in Aktion versetzt – wir sehen ihn im Gespräch, beim Ritt, im Gefecht, einsam am Schreibtisch. 

Ich habe versucht, mich einzufühlen. Nicht nur in den König, auch in seine Umgebung, ja, in das Volk, das unter seiner Regierung lebte und dabei nicht nur gute Tage hatte. Sie alle waren Menschen mit Gefühlen und Sehnsüchten. Also musste ich mich zurückversetzen in die Zeit meiner Großeltern. Als noch nicht einmal 30-Jähriger wurde ich zum Zeitreisenden – ziemlich jung für so viel Historie. Einer Gefahr musste ich begegnen: mich in Details zu verlieren, denn die Versuchung war groß, alles zu zeigen, was überliefert war. Stattdessen machte ich es mir zur Aufgabe, Situationen zu verdichten und die Details der Fantasie der Beschauer zu überlassen. 

Ich freue mich zu hören, dass das Buch von Kugler und mir immer noch verlegt wird. Also habe ich doch ein Bild von Friedrich dem Großen in die Hirne eingebrannt. Und stellen Sie sich vor: Als das neue Medium Film sich des Themas Fridericus Rex annahm, waren es meine Bilder, die den Regisseuren als Vorlagen für ihre Szenografie dienten. Neue Ideen? Fehlanzeige. Dafür möge man mich nicht verantwortlich machen! Schließlich: Bitte vergessen Sie nicht meine Bilder aus der Arbeitswelt. Das „Eisenwalzwerk“ zum Beispiel. 

Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

„So fühlte ich die Zuneigung erkalten“

Was ich über den Preußen Friedrich denke? Kaum hatte ich am 28. August 1756 mein siebentes Jahr zurückgelegt, als gleich darauf jener Krieg ausbrach, welcher auf die nächsten sieben Jahre meines Lebens großen Einfluss haben sollte. Die Welt spaltete sich sogleich in zwei Parteien, und unsere Familie war ein Bild des großen Ganzen. Mein Großvater war mit einigen Schwiegersöhnen und Töchtern auf österreichischer Seite. Mein Vater neigte mit der kleineren Familienhälfte zu Preußen. Man stritt, man überwarf sich, man schwieg, man brach los und konnte einander nicht begegnen, ohne dass es Händel setzte wie in „Romeo und Julia“. Und so war ich denn auch preußisch, oder um richtiger zu reden, fritzisch gesinnt. 

Zu Anfang meiner Studentenzeit hatte Friedrich II. für mich noch immer über allen Männern des Jahrhunderts gestanden. In Leipzig, wo ich mich 1765 bis 1768 aufhielt, war es nicht angezeigt, für den König Partei zu ergreifen. Die Leipziger hatten die Hand des Krieges schwer gefühlt. Es sei keine Kunst, sagten sie, einiges zu leisten, wenn man weder Länder,  Geld, noch Blut schone. Friedrich habe sich in keinem seiner Pläne und in nichts, was er sich eigentlich vorgenommen hatte, als groß erwiesen. So fühlte ich nach und nach die unbedingte Verehrung erkalten, die ich diesem merkwürdigen Fürsten von Jugend an gewidmet hatte. Zehn Jahre später, es gab nun wichtigere Dinge als den alternden Preußenkönig, kam ich ihm recht nahe. Ich war inzwischen in den Dienst von Herzog Carl August von Sachsen-Weimar getreten und lebte in Weimar. 1778 war ein heikles Jahr. 

Wieder einmal war um eine Erbfolge ein Krieg entbrannt, diesmal um die bayerische. Auch Friedrich wollte mitmischen und bezog an der böhmischen Grenze Stellung. Für meinen heroisch gesinnten Herzog war das der willkommene Augenblick, an der Seite des Preußenkönigs Feldherrenruhm zu erwerben. So kam er auf die Idee, nach Berlin zu reisen, um die Situation zu sondieren. Immerhin war er ein Großneffe des Königs. 

Sachsen-Weimar war neutral im Bayerischen Erbfolgekrieg, und für mich gab es nur ein Ziel: diese Neutralität zu bewahren. Dabei konnte ich mich auf den Anhalt-Dessauer Fürsten Leopold III. verlassen. Er war befreundet mit Carl August, teilte jedoch dessen Heißsporn-Gemüt nicht. Wie froh war ich, als sich der Enkel des „Alten Dessauer“ bereitfand, den Herzog auf der Reise nach Berlin zu begleiten, um alle seine Schritte zu verfolgen und fatale Entschlüsse zu verhindern. Am 14. Mai 1778 betraten wir inkognito bei Treuenbrietzen brandenburgisch-preußisches Territorium – der Herzog als Herr von Ahlefeld, der Fürst unter seinem Namen, ferner der Kammerherr von Wedel und ich. Weiter ging es nach Potsdam, wo wir im Plögerschen Gasthof unmittelbar neben dem Schloss logierten. Eine Besichtigung des Schlosses Sanssouci scheiterte am flegelhaften Kastellan. Aber den riesigen Exerzierstall aus der Zeit des Soldatenkönigs neben der Garnisonkirche durften wir inspizieren. 

In Berlin war es ein prickelndes Gefühl, an der Quelle des Krieges in dem Augenblick zu sitzen, da sie überzusprudeln drohte. Schließlich war es vollbracht: Wir blieben auch weiterhin neutral. Immerhin konnte ich in den folgenden Jahren den Herzog dem Einfluss Friedrichs immer mehr entziehen. Am 21. Mai waren wir zurück in Potsdam. Nach einem schönen Schlaf fand ich endlich meine Seele wieder gereinigt. Nun endlich wurden wir in das Schloss Sanssouci eingelassen. Auch die Bildergalerie nebenan durften wir besichtigen. Am folgenden Tag ritten wir in aller Frühe hinaus zum kleinen Jagdschloss des Soldatenkönigs am Stern. Dann stand der Besuch des Alten Schlosses mitten in Potsdam auf unserem Programm: Hoftheater, Marmorsaal, Festräume. Zu Mittag dann der Aufzug der Potsdamer Wachtparade. Mit Pauken, Trommeln und Pfeifen zogen die Grenadiere zur Schlosswache. Am Nachmittag blieb noch Zeit für die Garnisonkirche und die Gewehrfabrik. Friedrich der Große starb wenige Tage vor meinem 37. Geburtstag. 

Giacomo Girolamo Casanova (1725 – 1798)

Eine Plauderei im Park

Mein Name ist Giacomo Girolamo Casanova. Ich bin nicht von adliger Geburt, auch wenn ich an den Höfen Europas verkehrte. Meine Eltern waren Schauspieler. Im Jahr 1764 befand ich mich im 39. Lebensjahr, als mich das Schicksal an den preußischen Hof führte. Dort hatte ich die Ehre, König Friedrich II., “den Großen“, zu treffen. Bei einem guten Angebot wäre ich vielleicht für eine angemessene Zeit sein treuer Diener geworden. Also bemühte ich mich, ihm dafür Gelegenheit zu bieten. In meinen Memoiren habe ich darüber berichtet. Genießen Sie daraus ein paar Sätze. 

Von Magdeburg fuhr ich geraden Weges nach Berlin, ohne mich in Potsdam aufzuhalten; denn der König war nicht da. Die erbärmlichen Wege auf dem preußischen Sandboden waren schuld, dass ich drei Tage brauchte, um achtzehn deutsche Meilen zurückzulegen. Ich stieg im Hotel de Paris ab, wo ich alles so fand, wie es für meine Ansprüche und für meine Börse passte.  Am fünften Tage nach meiner Ankunft in Berlin stellte ich mich dem Lord Marishal vor, der Mylord Keith genannt wurde. Er war immer noch ein Liebling des Königs, mischte sich aber wegen seines hohen Alters in keine Hofangelegenheiten mehr ein. 

Er fragte er mich, ob ich die Absicht habe, eine Zeitlang in Berlin zu bleiben. Da er die Wechselfälle meines Lebens teilweise kannte, antwortete ich ihm, ich würde mich gern dauernd niederlassen, wenn nur der König mir eine Anstellung böte, die meinen Kenntnissen entspricht. „Ich rate Ihnen, dem König zu schreiben, dass Sie nach der Ehre einer Unterredung streben«. »Wird der König mir antworten?« »Ohne allen Zweifel; denn er antwortet einem jeden. Er wird Ihnen mitteilen, wo und zu welcher Stunde er Sie empfangen will.“ Ich schrieb dem König einen ganz einfachen und sehr ehrfurchtsvollen Brief, in dem ich fragte, wo und wann ich mich Seiner Majestät vorstellen dürfte. Am zweiten Tage darauf erhielt ich einen Brief; man bestätigte mir den Empfang meines Briefes und teilte mir mit, dass der König sich um vier Uhr im Park von Sanssouci befinden würde.

Wie man sich denken kann, war ich pünktlich zur Stelle. In einen einfachen schwarzen Anzug gekleidet, begab ich mich um drei Uhr nach Sanssouci. Im Schlosshof sah ich keinen Menschen, nicht einmal eine Schildwache; ich ging eine kleine Treppe hinauf, öffnete eine Tür und befand mich in einer Bildergalerie. Der Aufseher kam auf mich zu und erbot sich, mich zu führen. Ich antwortete ihm: »Ich komme nicht, um Meisterwerke der Malerei zu bewundern, sondern um den König zu sprechen, der mir geschrieben hat, dass er im Park sein werde.« »Er ist in diesem Augenblick bei seinem kleinen Konzert, wo er die Flöte spielt. Das tut er jeden Tag nach Tisch. Hat er Ihnen die Stunde bezeichnet?« »Ja, um vier Uhr; aber er wird es vergessen haben.« »Der König vergisst niemals etwas; er wird pünktlich sein, und Sie tun gut, wenn Sie ihn im Park erwarten.«

Ich befand mich seit einigen Augenblicken im Park, als ich ihn mit seinem Vorleser und einer hübschen Windhündin erscheinen sah. Sobald er mich bemerkte, ging er auf mich zu, nahm seinen alten Hut ab, nannte meinen Namen und fragte mich in barschem Ton, was ich von ihm wollte. Überrascht von diesem Empfang, konnte ich kein Wort hervorbringen; ich sah ihn nur an, ohne ihm zu antworten. Während er mich fragte, worüber ich mit ihm sprechen wolle, befahl er mir zugleich, mein Urteil über seinen Park abzugeben! Jedem anderen hätte ich geantwortet, dass ich nichts davon verstünde; aber da der König geruhte, mich für einen Kenner zu halten, hätte es schlecht ausgesehen, wenn ich ihm widersprochen hätte. Das verzeiht ein König niemals, selbst wenn er ein Philosoph ist.  Unsere Plauderei drehte sich dann noch um Steuern und Lotterie. Aber damit möchte ich Sie nicht langweilen. Wie Sie sicher ahnen, reiste ich unverrichteter Dinge wieder ab.

Francois Mario Arouet („Voltaire“) (1694 – 1778)

Ein Philosoph in geheimer Mission

Mein Name ist Francois Marie Arouet, bekannt als Voltaire. Mon dieu, bitte kommen Sie mir nicht mit der Frage, ob Friedrich schwul war oder nicht. Ich gebe zu, in meinen Erinnerungen die Spekulationen kräftig angeheizt zu haben, ab was tut man nicht alles, um Auflage zu machen. Friedrich und ich fühlten uns als Philosophen. Mag sein, ich war es mehr als er, aber umso mehr trug er sein Philosoph-Sein wie eine Standarte vor sich her. Sei es drum, es war eine spannende Zeit, als sich die Aufklärung in Europa breit machte. Die Zeit mit Frederic war sehr anregend. Wir haben uns in den 42 Jahren zwischen dem ersten Briefwechsel und meinem Ableben mehrfach getroffen und wir haben korrespondiert…. Die Zählung unserer Briefe endet bei 245. Seine Briefe offenbarten Esprit und Geist.

Nach seiner Eroberung Schlesiens widmete sich der König verstärkt der Aufgabe, mich zu erobern. Dabei war ihm jedes Mittel recht. Sogar einen Brief ließ er fälschen, der mich in Paris in ein unpatriotisches Licht setzte. Er sorgte dafür, dass mein Brief an ihn vom 15. Mai 1742 – zumindest teilweise – publik wurde. Für manchen französischen Patrioten war ich von nun ab eine Unperson. Wollte mich Friedrich aus Frankreich herausgraulen? Ich wollte es herausbekommen und reiste im Sommer 1742 nach Aachen, wo Friedrich zur Kur weilte. Und siehe da: Die Einladungen nach Berlin wurden immer drängender. Hinzu kam die Unverschämtheit der Academie Francaise, einen freigewordenen Platz an meiner Stelle an einen Pfaffen zu vergeben. 

Am 20. August 1743 kam ich in Berlin an und blieb diesmal bis zum 12. Oktober. Ich bekam heraus, dass der König eine Anleihe in Amsterdam aufgenommen hatte. War das ein Ansatz für französisches Entgegenkommen? So sehr ich mich bemühte: Friedrich ließ sich nicht in die Karten schauen. Auch spürte ich sehr schnell, dass der frankophile König mit mir keinen Dissidenten an die Tafel bitten wollte, sondern einen geachteten Vertreter unserer Nation, am besten noch mit Vollmachten ausgestattet.  Es ist nicht wahr, dass meine Mission, zwischen Frankreich und Preußen einen Pakt zu schmieden, gescheitert ist. Zugegeben, Friedrich hat mich nie als Unterhändler oder Vermittler angesehen. Für ihn war ich nur der Dichter, der ihn beflügeln sollte. Wenn Friedrich später schrieb: „Seine Mission wurde ein Spiel, ein bloßer Scherz“, dann irrte er. Oder noch besser: Er wollte nicht wahrhaben, dass ich mich auch auf dem Felde der Politik mit einiger Sicherheit bewegen konnte. Gerade in der Politik stellen sich Erfolge nicht immer unmittelbar ein.

Nach meiner Abreise aus Berlin verbrachte ich noch ein paar sehr angenehme Tage in Bayreuth, bei der Schwester Friedrichs. Sie half mir, das Wesen dieses so widersprüchlichen Königs besser zu verstehen. So konnte ich in Paris ausführlich über meine Eindrücke am preußischen Hof Bericht erstatten. Ein Jahr später zeigten sich die Früchte meiner Mission: Als Frankreich von den Österreichern im Elsass bedrängt wurde, marschierte Friedrich mit seiner gesamten Streitmacht in Böhmen ein. Als er auch aus diesem Krieg als Sieger heimkehrte, titulierte ich ihn „Friedrich der Große“. Unser mehrjähriges Zusammenleben stand damals noch in weiter Ferne. Und wieder verlegten wir uns aufs Korrespondieren. Es war mir gleichgültig, dass ihm meine Fragen und Bemerkungen zu außenpolitischen Entwicklungen wie dreiste Einmischung vorgekommen sein müssen. 

Sieben Jahre später, am 28. Juni 1750 verließ ich Paris erneut, um mich auf den Weg nach Potsdam zu machen. Diesmal dauerte mein Aufenthalt fast drei Jahre. Aber das ist eine andere Geschichte, die allerdings mit einer Flucht und einer heftigen Verstimmung endete. Dennoch: Unser Briefwechsel setzte sich fort.

Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)

Der komponierende Besucher

Alle reden über meinen kurzen Besuch in Potsdam Mitte Mai 1747. Sogar einen Film haben sie darüber gedreht. Ich denke, die Leute übertreiben. Gewiss, ich war der „große Bach“, seit 1723 Kantor an der Leipziger Thomasschule. Ich darf vorausschicken, dass mein zweitältester Sohn, Philipp Emanuel, seit 1738 im Dienst des Königs stand. Anfangs war das noch in Rheinsberg, wo er als Cembalist in die Kapelle des Kronprinzen berufen wurde.  In der Hofkapelle hatte er den Posten des Kammercembalisten inne. Auch in Komposition übte er sich. Seinem König widmete er die sechs „Preußischen Sonaten“ für Klavier. Ich konnte also stolz auf meinen Sohn sein, zumal er geheiratet und mich zum Großvater gemacht hatte. Wenn Sie wissen wollen, wie Philipp Emanuel aussieht: Er sitzt auf Adolf Menzels berühmten Gemälde „Das Flötenkonzert in Sanssouci“ am Cembalo. 

Zurück zu jenem Sonntag im Mai 1747. Mit einer schnellen Kutsche war die Strecke zwischen Leipzig und Potsdam an einem Tag zu schaffen. Ich machte aber bereits in Halle Station, wo mein ältester Sohn Friedemann Organist war. So kam ich erst am späteren Abend in Potsdam an. Dass mich der König sogleich empfangen würde, hatte ich nicht erwartet. Er hatte ein paar Tage zuvor sein Sommerschloss auf dem Weinberg „eröffnet“, war aber gleich danach wieder in das Potsdamer Stadtschloss zurückgekehrt. Das war eine einzige Baustelle. Ich verstehe nicht, wie der König unter solchen Bedingungen leben konnte. Nun gut, er war 35 Jahre alt, ich 62. 

Ich hatte kaum Zeit, mich von der Reise ein wenig zu erholen, da wurde ich auch schon ins Schloss geladen. Es war eine von diesen freundlichen Einladungen, denen man sich unmöglich widersetzen konnte. Man hätte mich zwischen meiner Eskorte auch für einen Gefangenen halten können. Die königliche Gesellschaft vergnügte sich mit Musik. Als ich hinzutrat, rief der König:  „Meine Herrn, der alte Bach ist gekommen!“ und brach das Konzert ab. Im Schloss standen überall verstreut Cembali und Hammerklaviere, die zum Teil aus anderen Schlössern stammten, zum Teil auch neu gekauft waren. Zunächst sollte ich deren Qualität prüfen. Das war schnell getan, denn ich war mir sicher, dass mein Sohn diese Prüfung längst vorgenommen hatte. 

Dann wurde musiziert. Der König und ich nahmen an jeweils einem Cembalo Platz und er bat mich, ihm meine Kunst des Improvisierens zu beweisen. Der König spielte ein Thema vor und ich führte es aus. Immer neue Themen wurden angespielt und die Anforderungen stiegen. Problematisch wurde es erst, als mich der König aufforderte, auf ein Thema eine Fuge zu improvisieren. Die Art des Themas war dafür kaum geeignet. Dennoch gelang es mir, eine dreistimmige Fuge anzuspielen. Die Anwesenden waren entzückt. Der König aber, der mich offenbar an die Grenzen meiner Kunst bringen wollte, verlangte daraufhin eine sechsstimmige Fuge. Da blieb mir nur, ihm zu versprechen, sie schriftlich nachzuliefern. Damit endete der erste Tag in Potsdam. 

Am nächsten Tag ließ ich mich dann noch in der Heiliggeistkirche in Potsdam als Orgelspieler hören und reiste auch bald wieder nach Hause. In Leipzig angekommen, arbeitete ich das Thema aus, es entstanden die beiden Ricercari zu drei und sechs Stimmen, dann fügte ich noch diesen und jenen Kanon über dasselbe Thema hinzu und schließlich, als Verbeugung vor der Flötenkunst des Königs, eine Triosonate für Flöte, Violine und Generalbaß. Ich ließ die Noten in Kupfer stechen und sandte sie dem König als „Das musikalische Opfer“. Ich stellte es Friedrich frei, mich als Opfer seiner Launen zu sehen oder die Komposition als meine Opfergabe am Altar seiner Größe. Ein Missverständnis möchte ich am Schluss ausräumen: Die „Brandenburgischen Konzerte“ haben mit Friedrich oder mit Sanssouci nicht das Geringste zu tun.  Sie entstanden 1721 – da war Friedrich neun Jahre alt. Gewidmet habe ich sie Christian Ludwig von Brandenburg-Schwedt, der mir bei einem Berlin-Besuch sehr zugetan war.

Heinrich Ludwig Manger (1728 – 1790)

Vom gefährlichen Leben der Baumeister

Ich bin Heinrich Ludwig Manger, geboren 1728, gestorben 1790. 1763 wurde ich zum Inspektor der königlichen Bauten und 1775 zum Baudirektor ernannt. Ich war an der Errichtung des Neuen Palais im Westen des Parks Sanssouci beteiligt und habe mehrere Kasernen und Bürgerhäuser in Potsdam errichtet. Mein Schicksal unter dem Großen König war kaum schlechter als das meiner Kollegen, die die Ehre hatten, im Angesicht des Königs tätig zu werden. Knobelsdorff legte im April 1746 die Leitung des Baus am Schloss Sanssouci nieder und verlor die Gunst Friedrichs bis zu seinem Lebensende, mein Kollege Büring wurde wegen angeblich zu geringen Engagements beim Bau des Neuen Palais entlassen und landete im Schuldturm, und auch Gontard kannte nicht nur Sonnentage: 43 Tage lang war er in Spandau eingesperrt, länger als ich. Das ist meine Geschichte.

Am 19. Juli 1786 gab mir der König den Befehl, einen Kostenvoranschlag für sechs Treibmauern mit Glasfenstern für das Gelände hinter den Kolonnaden des Neues Palais einzureichen. Eine gärtnerische Anlage sollte den Park nach Westen hin abschließen. Der König drängte auf Eile, weil er schnell im Orient die Bäume bestellen wollte. Nachdem ich alle Maße genommen hatte, konnte ich am Morgen des 21. Juli die Kostenrechnung vorlegen. Auf 21.000 Taler war ich gekommen. Dabei hatte ich nicht nur an die Baukosten gedacht, sondern die Kosten für die Bäume mit einbezogen. Schließlich war ich nicht nur gelernter Baumeister, sondern auch Pomologe.

Was ich nicht wusste: Der König hatte sich selbst eine Vorstellung über die Kosten verschafft und war gerade einmal auf ein Drittel meiner Summe gekommen. Und was ich auch nicht wusste: Dem König waren in letzter Zeit anonyme Briefe zugegangen, die mich der „Unrechtschaffenheit“ bezichtigten. Früher hatte der König solchen Schreiben keine Beachtung geschenkt. Mit dem Alter wuchs allerdings sein Mißtrauen und seine Neigung, Einflüsterungen für die Wahrheit zu nehmen. Für meinen Anschlag könne er jedenfalls keinerlei Verständnis aufbringen, und so schickte er mich kurz angebunden hinaus. Unmittelbar danach beauftragte er den Baumeister Seidel aus Berlin, der gerade mit der Anlage eines Äquaduktes in Bornstedt befasst war, einen eigenen Kostenvoranschlag vorzulegen. Der hatte ihn in wenigen Stunden fertig: ein Drittel der von mir errechneten Kosten. Allerdings ohne die Bäume. 

Ohne der Sache auf den Grund zu gehen, ließ mich der König noch am gleichen Tage arretieren. Wie gesagt – Baumeister hatten seit jeher ein schweres Los bei ihm. Nun war ich an der Reihe. Ich wurde auf die Hauptwache des Regimentes Prinz von Preußen gebracht, mein Büro und die Arbeitsstube in meinem Wohnhaus wurden versiegelt. Für den König war ich ein Dieb, Betrüger, Spitzbube, Canaille. Justizbeamte gingen in Potsdam von Haus zu Haus und forderten die Bürgerschaft auf, alles anzuzeigen, was gegen Manger spräche. Auch die gesamte Garnison wurde befragt, wer etwas gegen mich vorbringen könnte. Alles ohne Erfolg. 

Es kam noch ärger. Alle Häuser, die unter meiner Bauleitung errichtet wurden, mussten genauestens vermessen und die in den Rechnungen genannten Materialien mit den wirklich notwendigen verglichen werden. Arrest, Untersuchung und das Ausmessen der Häuser dauerte an, als am 17. August der König für immer die Augen schloss. Dieser Tag war auch für mich ein Tag der Trauer. 

Dennoch: Friedrich Wilhelm, unser nachfolgender König, kam am Tag danach an der Wache vorbei, in der ich noch immer arretiert war. Er erinnerte sich meiner und entließ mich unmittelbar in die Freiheit. Was war das für eine Freude, als ich vor der Hauptwache von meinen Bauleuten empfangen und in fröhlichem Zug nach Hause geleitet wurde.