Kategorie: <span>T.F. Märker</span>

Alexander Gentz (1826 – 1888)

Getroffen im Tempelgarten

Wenn  Sie in Fontanes Wanderung durch die Mark Brandenburg und dort speziell im ersten Band über das Ruppiner Land geblättert haben, dann sind Sie garantiert auf die Neuruppiner Familie Gentz gestoßen. Wir werden darin so ausführlich vorgestellt, dass man aus diesen Kapiteln problemlos ein eigenes Buch hätte herausgeben können. Da wäre zunächst mein Vater Johann Christian Gentz, etwa im Alter von Fontanes Vater. Im Gegensatz zum gescheiterten Apotheker hat es mein Vater zu deutlichem Wohlstand gebracht. Johann Christian war ein Original und zugleich ein Mann, der innerhalb der gewerblichen und merkantilen Welt von der Pike an gedient hatte. Lesen Sie bei Fontane nach, zu welchen Mitteln er dabei griff: „Um drei Uhr war er auf und begann damit, den Laden selber auszufegen. Eine Art von Genie aber entwickelte er in seinem Verkehr mit dem Publikum. Von einer seiner Reisen hatte er eine Spieluhr mitgebracht, die fünf Lieder spielte. Wollte nun eine wohlhabende Bauerfrau, die nach seiner Meinung noch nicht genug gekauft hatte, den Laden wieder verlassen, so zog er an der Uhr, die sofort »Schöne Minka, du willst scheiden« zu spielen begann. Die Frau blieb nun, um weiter zu hören, und wurde Opfer ihrer Neugier.“

Aus einem kleinen Kurzwarenladen baute er ein Bank- und Wechselgeschäft auf und gründete schließlich seinen Reichtum auf Torf. Das war zu einer Zeit, als Torf in der Mark Brandenburg noch die Rolle spielte, die in England schon längst die Steinkohle für die industrielle Entwicklung übernommen hatte. Aus diesem Reichtum erwuchs nördlich von Neuruppin das Anwesen Gentzrode. Die Gebäude wurden im maurischen Stil mitten in einem Landschaftspark errichtet und bilden ein einzigartiges Bauensemble, das Ihren Zeitgenossen als ein Denkmal von nationaler Bedeutung gilt. Ab 1858 übernahm ich von meinem Vater die Verantwortung für das Gut. Der trockene, nährstoffarme Boden und der Verfall des Torfpreises machten mir allerdings schwer zu schaffen. Jedenfalls musste ich 1884 Konkurs anmelden. Zum Glück musste mein Vater das nicht miterleben. Gentzrode wechselte seither oftmals den Besitzer. Allerdings mit der Folge, dass es immer mehr verwahrloste. Leider.

Gentzrode war aber nicht unser einziges Projekt zur Verschönerung Neuruppins. 1853 kauften wir den von König Friedrich dem Großen angelegten Tempelgarten auf den Wallanlagen. Vor allem ich war es, der dem Garten seine immer noch sichtbare Gestalt gab. Ich engagierte den berühmten Orientalistik-Architekten Carl von Diebitsch und beauftragte ihn, die Villa, das Gärtnerhaus mit dem stilisierten Minarett, die Eingangstore und Umfassungsmauern samt einer angedeuteten Bastion in orientalisierender Form zu errichten. Für die Ausschmückung des Gartens erwarb ich aus Dresden barocke Sandstein-Plastiken und ließ den Garten mit botanischen Besonderheiten bepflanzten. Auch diese Perle im Neuruppiner Geschmeide musste ich verkaufen. Doch diesmal war die Stadt der Käufer. So blieb der Tempelgarten als eine hervorragende Sehenswürdigkeit der Stadt erhalten.  

Doch zurück zu Fontane und seinen Wanderungen. Den meisten Raum in seinen Schilderungen über unsere Familie räumte er meinem Bruder Wilhelm ein. Der führte als Maler ein wahrhaft abenteuerliches Leben. Er lebte in London und Paris, bereiste Spanien und den gesamten Orient zwischen Marokko, Ägypten und der Türkei. Kein Wunder, wenn Fontane gern aus seinen Erinnerungen zitierte: „Interessant ist das Volksleben, die Tänze auf öffentlichen Plätzen, das Zigeunertreiben, das Aufregende der blutigen Stierkämpfe, die Hingabe der Frauen, die klangvolle Sprache, die äußerste Lebendigkeit in der Komödie und Posse, die Gastfreundschaft, dazu die Fülle der Abenteuer, deren man dort mehr erleben kann als in anderen Ländern.“ Mehr noch über das Leben entlang der Mittelmeerküste können Sie in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ nachlesen.

Dubslav von Stechlin (ca. 1830 – ca. 1895)

Das alter ego

Ich bin die Hauptfigur in Fontanes letztem Roman, der „Stechlin“. Er erschien zunächst im Oktober 1898 als Fortsetzungsroman in dem illustrierten Unterhaltungsblatt „Über Land und Meer“ und ein knappes Jahr später als Buch. Man braucht reichlich Geduld, um die über 400 Seiten zu bewältigen. Aber bedenken Sie: Damals steckte das Kino in den Kinderschuhen, Radio und Fernsehen existierten nicht einmal in kühnsten Fantasien. Da war ein Roman, der vorwiegend aus tiefsinnigen Gesprächen besteht, beste Unterhaltung. Dabei werden anhand aktueller Ereignisse alte, konservative Sichtweisen gegen neue, liberale und sozialdemokratische Tendenzen abgewogen. 

Das Thema des Buches ist der Umbruch in ein neues Zeitalter, worüber alle Figuren in endlosen Gesprächen sinnieren und debattieren. Es geht um Demokratie, das Deutsche Reich und seine internationalen Beziehungen, um Industrialisierung und den sozialen Wandel. Die Handlung war dabei nicht das Entscheidende. Fontane fasste sie selbst ironisch zusammen: „Zum Schluss stirbt ein Alter und zwei Junge heiraten sich“. 

Wenn Sie den Roman lesen, werden Sie eine Antwort auf die Frage finden, warum Theodor Fontane die vielen „Wanderungen“ ins Märkische unternommen hat: Er hat das Lokalkolorit für spätere literarische Werke gesucht und gefunden. Der „Stechlin“ ist voll davon. Die beschriebenen Landschaften stimmen haargenau, die handelnden Personen sind dagegen reinste Erfindung. Auch ich, der im Roman meist „alter Dubslav“ genannt wird. Ich will Ihnen verraten, dass es einen „von Stechlin“ in der Realität nie gegeben hat. Die Täuschung besteht darin, dass der von Fontane gewählte Familienname zugleich der Name eines der bekanntesten Seen in der Mark Brandenburg ist. Sein Wasser ist sprichwörtlich klar, und umgeben ist er von dunklen Wäldern. Dort können Sagen und Legenden sprießen. Zum Beispiel die vom „Roten Hanhn“.

In den „alten Dubslav“ hat Fontane viel von sich selbst hineingegeben. Ich bin das alter ego eines Mannes, der die Bilanz seines Lebens zieht. Hier zeigen sich Gelassenheit und Toleranz des Alters. Das ist es, was Fontane mit mir als Hauptperson seinen Lesern mit auf den Weg geben will. Hier spricht ein Mann, der die Schwächen seiner Zeit erkennt und in seinen Werken auch nicht verleugnet, dabei aber dennoch von einer tiefen Sympathie für das ist, was das Traditionelle ausmacht – in dem Fall des märkischen Adels. 

Wie Fontane selbst, stirbt auch der „alte Dubslav“ still und schmerzlos. In seinem Roman gibt Fontane sogar eine Vorstellung davon, wie er sich seine Grabrede wünscht: „Er hatte vielmehr das, was über alles Zeitliche hinaus liegt, was immer gilt und immer gelten wird: ein Herz. … Das Goldene Kalb anbeten war nicht seine Sache. Daher kam es auch, dass er vor dem, was das Leben so vieler anderer verdirbt und unglücklich macht, bewahrt blieb, vor Neid und bösem Leumund. Er hatte keine Feinde, weil er selber keines Menschen Feind war. Er war die Güte selbst, die Verkörperung des alten Weisheitssatzes: ›Was du nicht willst, daß man dir tu‘.‹ Alles, was einst unser Herr und Heiland gepredigt und gerühmt und an das er die Segensverheißung geknüpft hat, – all das war sein: Friedfertigkeit, Barmherzigkeit und die Lauterkeit des Herzens.“

Elisabeth von Plotho (1853 – 1952)

Dichtung und Wahrheit

Ich, Elisabeth von Plotho, genannt „Else“, entstamme einem uralten Adelsgeschlecht derer von Plotho. Die Wasserburg Plothe bei Genthin war unser Stammsitz. Aber vielleicht kennen Sie mich eher unter dem Namen „Effi Briest“, denn es war in wesentlichen Zügen meine Geschichte, die Theodor Fontane in seinem gleichnamigen Roman verarbeitete. Ich gehe davon aus, dass Sie dessen Inhalt in groben Zügen kennen. Hier werden sehr drastisch die Konsequenzen aufgezeigt, mit denen in der Wilhelminischen Ära Übertretungen des damaligen Moralkodex geahndet wurden. Im Roman wird die erst siebzehnjährige Effi nach dem Willen ihrer Mutter mit dem viel älteren Baron von Innstetten verheiratet. 

Die Ehe war nicht glücklich, denn die Karriere als preußischer Beamter war dem Ehemann stets wichtiger. Kein Wunder, dass sich Effi auf eine Affäre einließ. Jahre später erfuhr der Baron durch aufgefundene Briefe davon und fühlte sich in seiner Ehre gekränkt. Er tötete den einstigen Liebhaber im Duell, ließ sich von Effi scheiden und nahm ihr die Tochter. Auch die Eltern verstießen sie. Erst nach Jahren versöhnten sie sich mit der todkranken Tochter. Der Schlusssatz „… das ist ein zu weites Feld“ ist zu einem geflügelten Wort geworden.

„Effi Briest“ ist ein Musterbeispiel für die Kunst Fontanes, Wahrheit und Dichtung geschickt miteinander zu vermengen. Die untreue Ehefrau war ich. Mit 19 Jahren heiratete ich den in Rathenow stationierten Zieten-Husar Armand von Ardenne. Durch ihn lernte ich jenen Mann kennen, der unser Schicksal wurde und der im Duell starb. Dass ich aber als junge Frau vor Gram starb, ist zum Glück erfunden. Ich wurde fast 100 Jahre alt! Einer meiner Enkel war der spätere Physiker Manfred von Ardenne, dem im Jahr 1930 die weltweit erste Fernsehübertragung mit der Kathodenstrahlröhre gelang. Er war damals 23 Jahre alt. In seinen Memoiren von 1972 schrieb er 

über eine seltsame Begegnung: „Ein weißhaariger Herr begrüßte mich mit den Worten: ‚Ihr Großvater hat meinen Vetter im Duell erschossen‘“. Dann berichtete der Wissenschaftler, dass ihm seine Großmutter die Briefe eines Emil Harwich mit der Bemerkung übergab, sie mögen einen Mann ins rechte Licht rücken, „der unendliches Leid, aber auch unendliches Glück in mein Leben gebracht hat“. Den Major Crampas aus dem Roman gab es also auch wirklich. 

Ebenso hat es das Adelsgeschlecht derer von Briest bis 1822 wirklich gegeben. Auf diese Familie geht das Schloss Nennhausen im Havelland zurück. Im Roman bildet es die Kulisse für den Handlungsort „Hohen-Cremmen“. Hinter dem Ort „Kessin“ verbirgt sich allerdings die Stadt, in der Fontane seine Kindheit verbrachte: Swinemünde.

Die Effi hat es zu großer Berühmtheit gebracht. Mal eine Frage: Was haben die Schauspielerinnen Marianne Hoppe, Ruth Leuwerik, Angelika Domröse, Hanna Schygulla und Julia Jentsch gemeinsam? Die Lösung: Sie alle verkörperten mich, die Effi Briest, in Verfilmungen des Fontane-Romans in den Jahren 1939 bis 2009. Auch Bühnenfassungen und Hörspiele hat es gegeben. Sie sehen, ich bin ein nicht enden wollendes Medienereignis. Der Roman erschien zunächst übrigens nicht als Buch, sondern 1894/95 in sechs Folgen in der „Deutschen Rundschau“, jener hochangesehenen Zeitschrift des Bildungsbürgertums. 

Es heißt, Fontane habe damit den deutschen Gesellschaftsroman mit aus der Taufe gehoben und gleichzeitig zur ersten Blüte gebracht. Wie viele Auflagen „Effi Briest“ in den vergangenen fast 130 Jahren erlebt hat, kann man nicht einmal schätzen. Es wird Zeit, dass die wahre Geschichte ans Licht kommt.

Hans-Georg von Ribbeck (1689 bis 1759)

Der großherzige Gutsherr im Havelland

Ich sehe es ein – ohne den Herren von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland ist ein Treffen bei Theodor Fontane völlig undenkbar.  Fontanes Ballade von 1889 ist in vielen Lehrplänen bis heute vorgesehen, sodass es in Deutschland zweifellos zu den bekanntesten Gedichten gehört. Wer kennt nicht zumindest die erste Zeile? Also gestatten Sie mir, dass ich mich vorstelle: Ich heiße Hans-Georg von Ribbeck und lebte von 1689 bis 1759. Ich stamme aus einer uralten märkischen Adelsfamilie, die mit den Askaniern in das Land kam, das sie den slawischen Stämmen entrissen. Ich war ein großzügiger und kinderfreundlicher Mensch – unter damaligen Gutsherren leider eine seltene Eigenschaft. 

Bereits vor Fontanes Ballade war ich Gegenstand dichterischer Beschreibungen. Eine davon aus dem Jahr 1875 geht auf Hertha von Witzleben zurück, die unserer Familie entstammte. Auch in einer Sagensammlung aus dem Havelland von 1887 war ich vertreten. Jetzt fragen Sie, warum Fontane diese Geschichte noch einmal aufgegriffen hat. Ich vermute, er wollte damit auf den guten Kern des märkischen Adels hinweisen, der zu seinen Lebzeiten hinter Dünkel, Arroganz und Großmannssucht kaum noch erkennbar war. Für ihn waren die guten Vertreter der märkischen Adelsfamilien unverzichtbare Träger der Kultur. In seinen „Wanderungen“ hat er viele von uns respektvoll vorgestellt. 

Warum ausgerechnet die Birne, um meine Großherzigkeit zu würdigen? Auch darauf gibt es eine Antwort. In der Mitte des 18. Jahrhunderts herrschte bei uns eine „kleine Eiszeit“. Zum Beispiel war der Winter von 1739 auf 1740 – dem Jahr des Regierungsantritts von Friedrich II. – extrem streng. Er erreichte Temperaturen von bis zu 39 Grad unter Null und dauerte bis in den Mai hinein. Damals gingen zahlreiche Obstsorten zugrunde, der Weinanbau in Brandenburg brach ein, auch viele Birnenarten überlebten die Kälte nicht. Es war schon etwas Besonderes, wenn die Ribbecker Kinder eine Birne mit nach Hause bringen konnten. Zumal Birnen nicht nur als Obst gegessen wurden, sondern in der traditionellen Küche eine beliebte Beilage waren. 

Wahr ist, dass mein Sohn ein knausriger und kaltherziger Mensch war. Aber die Geschichte mit dem Begräbnis samt Birnenkerne kann ich nicht bestätigen. Immerhin besaßen wir Ribbecks eine Familiengruft in der Dorfkirche. Aber ist Ihnen aufgefallen, dass mich Fontane in seiner Ballade einen deftigen Dialekt sprechen lässt? „Junge, wist‘ ne Beer?“ und „Lütt Dirn, kumm man röwer, ich hebb`ne Birn.“ Ja, das ist Plattdeutsch. Fontane wusste, dass man vor 250 Jahren im nördlichen und mittleren Brandenburg diesen niederdeutschen Dialekt sprach. Er wusste, dass der im Abklingen war. Auch so wollte der Dichter wohl an die alten Traditionen erinnern. 

Übrigens: In Ribbeck im Havelland wird viel getan, um die Erinnerung an die alte Zeit zu bewahren. Neben der Dorfkirche wurde von eifrigen Baumpaten ein Birnengarten mit fast zwei Dutzend Bäumen gepflanzt. Sie tragen Birnen mit so schönen Namen wie „Köstliche von Charneu“, „Gellersts Butterbirne“ oder „Frühe von Trevoux“. Die legendäre Birne in meinem Garten war – so die heutige Wissenschaft – eine wohlschmeckende „Melanchthon-Birne“, auch „Römische Schmalzbirne“ genannt, weil sie mit römischen Legionären nach Germanien kam. 

Sabine Cusig (1715 – 1783)

Eine Geschichte wie aus dem Groschenroman

Hören wir zunächst Theodor Fontane im Band „Grafschaft Ruppin“ seiner „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ zu. Im Kapitel über die Ruppiner Schweiz, also der Gegend zwischen Neuruppin und Rheinsberg, berichtete er: „Auch die Historie ist leisen Fußes durch diese Gegenden hingeschritten und erzählt von Kronprinz Fritz und seiner Liebe zum schönen Försterkinde von Binenwalde. Von Rheinsberg aus herüberkommend, gab er im Abenddämmer das wohlbekannte Zeichen nach dem mitten im See gelegenen Forsthaus hinüber, und nicht lange, so glitt ein Kahn aus dem Schilfgürtel hervor und der Stelle zu, wo der Prinz, unter den Zweigen einer überhängenden Buche, die schöne Sabine, das ‚Insel- und Försterkind‘, erwartete. Die schöne Sabine aber stand lächelnd aufrecht im Kahn, das Ruder mit raschem Schlage führend, bis im nächsten Moment das Ruder ans Land und sie selbst dem Harrenden in die Arme flog.“

So, und nun kommt meine sagenhafte Geschichte: Bevor Friedrich II. gekrönt wurde, ritt er fast täglich hin und her zwischen seinem wunderschönen Schloss Rheinsberg am Grienericksee und Neuruppin, in dem Soldaten in Garnison lagen, die er kommandierte. Eines Abends hörte er mich singen, stoppte sein Pferd und holte aus der Satteltasche seine Querflöte, die er stets dabeihatte. Sogleich fiel er mit dem Flötenklang aus der Ferne in meinen Gesang ein. 

Bald erspähte ich den im Grase liegenden Flötenspieler. Doch da erscholl schon der Ruf meines Vaters über den See: „Sabine, Sabine” und das Echo wiederholte: „Bine, Bine”. Rasch sprang ich auf und rief noch beim Wegrudern: „Habt Dank, Spielmann, und kommt bald wieder. Ich wohne drüben im Forsthaus. Wo wohnt ihr?“ Es kam aber keine Antwort. 

An den kommenden Tagen gab es weitere Begegnungen zwischen uns, ohne dass der Flötenspieler seine wahre Identität preisgab. So ging es noch eine Weile weiter. Eines Abends kam jedoch der Flötenspieler nicht zum Stelldichein, und an den nächsten Tagen blieb er auch fern. Aber nun wusste ich, wer er war, und vermutete, was ihn hinderte: wichtige Staatsgeschäfte.

Also machen wir es kurz: Der Flötenspieler ist natürlich Preußenkönig Friedrich II. in seiner Kronprinzenzeit und ich war Sabine Cusig. Ich kam als Zwillingstochter des königlichen „Heydereuters“ Anton Scott zur Welt und wurde 1734 mit Förster Ernst Ludwig Cusig verheiratet. Der war vorher kurze Zeit sogar Leibjäger des Kronprinzen in Neuruppin. Ob es ein Liebesverhältnis zwischen dem Prinzen und mir je gegeben hat, werde ich auch hier nicht verraten.

Jemand meinte, die Geschichte sei ein Märchen, weil wir zu dieser Zeit bereits verheiratet waren. Dem berühmten „Volksmund“ war dies offenbar kein Grund, die Legende zu glauben, auch Theodor Fontane nicht. Kommen Sie ins idyllische, nach mir benannte Binenwalde. Hoch oben über dem See können Sie mich treffen – als steinerne Statue, ähnlich der Jagdgöttin Diana. Schon 1843 wurde ein Denkmal für mich dort aufgestellt, das allerdings am Ende des Zweiten Weltkrieges zerstört wurde.

Frau Schenker (Lebensdaten unbekannt)

Er konnte die Mark Brandenburg genießen

Ich frage mich selbst, ob es mich wirklich gegeben hat, oder ob ich nur ein Produkt dichterischer Freiheit bin. Gleich auf den ersten Seiten des Bandes „Spreeland“ schrieb Theodor Fontane über mich: „Frau Schenker ist eine freundliche Wirtin und eine stattliche Großmutter; ob deutsch oder wendisch, sie hängt am Spreewald und schreibt der Spree, neben allem sonstigen Guten, auch wirkliche Heil- und Wunderkräfte zu, worüber wir uns in einen scherzhaften Streit mit ihr verwickeln.“ Wie dieser Streit ausgegangen ist – darüber berichtete Fontane allerdings nicht. 

Aber über das Gericht können Sie nachlesen: „Das wäre kein echtes Spreewaldsmahl, wenn nicht ein Hecht auf dem Tisch stünde?“ Und dann hatte er auch gleich einen Reim parat: „Die Leber ist von einem Hecht und nicht von einem Schlei,/ Der Fisch will trinken, gebt ihm was, dass er vor Durst nicht schreie.“ Ein Trinkspruch also, den uns der Herr Fontane hier auftischte. Das alles trug sich im Jahr 1859 zu, als Fontane mit Dichterkollegen aus dem „Tunnel über der Spree“ eine Reise in den Spreewald unternahm.

In Lübbenau war man auf einen Kahn umgestiegen. Dann ging es an Lehde und Leipe vorbei in Richtung Burg. Ein „mit Schlangenkraut überwachsener Flußarm“ führte die Reisegesellschaft „nach der ‚Eiche‘, einem mitten im Spreewald gelegenen und von Frau Schenker in gutem Ansehen erhaltenen Wirtshause“. Getafelt wurde unter einer mächtigen Linde, die inzwischen von mehreren schattenspendenden Eichen abgelöst ist. Sie sind es, die dem heutigen „Waldhotel Eiche“ den Namen geben. Wie allerdings ich und der Name Schenker in Fontantes Erzählung kommen, kann niemand sagen. Denn es ist erwiesen, dass die Gastwirtschaft über fünf Generationen von der Familie Roschke betrieben wurde. Zur Zeit von Fontanes Besuch hieß der Wirt Friedrich Wilhelm Roschke. Von Schenker also keine Rede.

Aber wie wäre es, wenn ich Ihnen noch ein wenig über den Feinschmecker Fontane erzähle? Nein, Fontane war kein Topfgucker, der mit Feinschmeckerzunge kritisch bewertete, was auf den Tisch kam. Fontane konnte auch mit Einfachstem zufrieden sein. Von ihm stammt der Satz: „Ein Stück Brot ist ein Höchstes, ist Leben und Poesie.“  Und er ist bis heute noch ein willkommener Ratgeber in Sachen Kulinarik. Die feinen Tafelsitten seiner französischen Vorfahren hatte er zum Glück weitestgehend abgelegt und war in Fragen des Geschmacks längst ein Preuße. Ihm schmeckte das Deftige und Ungekünstelte. Vor allem aber mochte er Speisen, die aus dem bereitet waren, was Flora und Fauna der Umgebung hergaben. 

Da schaute er genau hin. Denn wer sich für Land und Leute interessiert, will auch wissen, was sie essen und wie sie essen. Natürlich ergeben die einzelnen Produkte noch keine komplette Speise. So gesehen war auch Fontane ein Gourmet, denn gut zubereitet mussten die Speisen auch für ihn sein. Zum Beispiel serviert man in Rheinsberg Schmorbraten in Ingwersoße mit Apfelrotkohl und Kartoffelklößen als „Fontanes Lieblingsgericht“. 

Ein paar Kilometer weiter, in Neuglobsow am Stechlinsee, steht das rustikale Restaurant „Fontanehaus“, eine ehemalige Glasmacherhütte. Es heißt, unter der riesigen Linde hinter dem Haus habe Fontane gesessen. Belegt ist das nicht. Trotzdem steht hier der „Fontaneschmaus“ auf der Speisekarte: geschmorte Rindsroulade, gefüllt mich Speck und Porree. Dazu Rotkohl und Kartoffelpüree. Aber Vorsicht, der Dichter muss nicht überall persönlich eingekehrt sein, wo in seinem Namen Gäste verwöhnt werden. 

Friedrich Wilhelm August Schmidt (1764 – 1838)

Der dichtende Pfarrer

Ich bin der „Schmidt von Werneuchen“, der dichtende Pastor. Im Band „Spreeland“ seiner „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ hat er mir, seinem Dichterkollegen, mehrere Seiten gewidmet. Wenn Sie auf der Straße zwischen Berlin und Bad Freienwalde unterwegs sind, kommen Sie auf halbem Weg durch Werneuchen. Es ist Ihrer Laune überlassen, ob Sie hier anhalten oder nicht. Vielleicht besuchen Sie mein Grab auf dem früheren Kirchhof mitten in der Stadt. Sie können es nicht verfehlen, denn es befindet sich gleich neben dem klassizistischen Mausoleum der hugenottischen Familie Petitjean (kleiner Hans), die in Werneuchen eine der größten brandenburgischen Poststationen unterhielt. 

Während andere reimende Pastoren-Kollegen Kirchenlieder hervorbrachten, nutzte ich meine dichterische Gabe, um meine liebste Henriette und die Barnimer Landschaft zu preisen. Meine Gedichte wurden im einfachen Volk geliebt, weshalb am Pfarrhaus gegenüber der Kirche eine Gedenktafel an mich erinnert. Ich wurde kurz nach Ende des Siebenjährigen Krieges im heute zu Potsdam gehörenden Fahrland geboren.  Ich genoss die damals bestmögliche Ausbildung: Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin und Theologische Fakultät der Universität Halle. Von 1795 bis zu meinem Tod war ich Pfarrer in Werneuchen. 

Und so besang ich meine Stadt: „Wenn vor des Pfarrhofs kleinen Zellen/ Nun bald die Lindenknospen schwellen,/ Wenn Vögel in den Ahornhecken/ Die weißen Eierchen verstecken,/ Dann kommst du, unsres Glückes froh/ Im Hute von geflochtnem Stroh,/ Zu atmen hier vom Veilchenduft/ Werneuchens reine Frühlingsluft.“

Über meine Lyrik schrieb Theodor Fontane in seinen „Wanderungen“: „Schmidt von Werneuchen handhabte Vers und Reim mit großer Leichtigkeit und zählte zu den produktivsten Lyrikern jener Epoche. … Am vorzüglichsten war er da, wo er in klassischer Einfachheit und in nie zu bekrittelnder Echtheit die märkische Natur beschrieb und den Ton schlichter Gemütlichkeit traf, ohne in Trivialität oder Sentimentalität zu verfallen. …Sein ganzes Dichten, Kleines und Großes, Gelungenes und Misslungenes, einigt sich in dem einen Punkte, dass es überall die Liebe zur Heimat atmet und diese Liebe wecken will. Und deshalb ein Hoch auf den alten 

Schmidt von Werneuchen!“ Geht das nicht zu Herzen? Zumal Fontane als außerordentlich kritisch galt. Aber wie ich als Pastor, hat ja Fontane bekanntlich als Apotheker angefangen. Dichter war wir beide.

Johann Wolfang von Goethe hingegen konnte sich nicht zu einem Hohelied auf meine Poesie durchringen. Er parodierte mich in dem Gedicht „Musen und Grazien in der Mark“, in dem er reimte: „O wie freut es mich, mein Liebchen,/ daß du so natürlich bist;/ unsre Mädchen, unsre Bübchen/ Spielen künftig auf dem Mist….“ Denken Sie aber nur nicht, dass ich mich darüber ärgerte. Hat mich doch der Dichterfürst durch seine Aufmerksamkeit geehrt. Meine Kinder mussten daraufhin viele der Goetheschen Gedichte auswendig lernen. 

Im Nachlass Goethes fand sich dann auch folgende Zeile: „Schmidt von Werneuchen ist der wahre Charakter der Natürlichkeit. Jedermann hat sich über ihn lustig gemacht, und das mit Recht; und doch hätte man sich über ihn nicht lustig machen können, wenn er nicht als Poet wirkliches Verdienst hätte, das wir an ihm zu ehren haben.“ Was soll ich dazu sagen?