Adolph von Menzel (1815 – 1905)
Seelenverwandte: Dichter und Maler
Ich fühle mich sehr geehrt, zur Geisterstunde ins Hause Fontane eingeladen zu sein. Wir sind beinahe Zeitgenossen. Aber ich erblickte drei Jahre vor ihm das Licht der Welt und durfte es noch sechs Jahre nach seinem Tod genießen. Sie sehen, ich habe es auf 90 Jahre gebracht. Wenn ich heute zurückschaue muss ich feststellen: Ich war von uns beiden zu Lebzeiten der berühmtere und höher Geehrte. Immerhin begegnete ich mehrfach dem Kaiser. Ich will hier aber nicht über unsere Unterschiede nachdenken, sondern über unsere Gemeinsamkeiten.
Beide fühlten wir uns zutiefst als Berliner, als Reichshauptstädter. Wir haben beide mittendrin gelebt – er in der Potsdamer Straße, ich in der Marienstraße, beide ungefähr gleichweit vom Reichstag entfernt, wenn auch in entgegengesetzter Richtung. Wir beide „Urberliner“ stammten allerdings aus der Provinz. Ich wurde in Breslau geboren, er in Neuruppin. Aber was tut’s, um die Wende zum 20. Jahrhundert waren die wenigsten Berliner auch dort geboren.
Viel wichtiger aber ist unsere Seelenverwandtschaft. Unsere beiden Herzen hingen an Preußen. Ich meine das Preußen der stets Tugendhaften, der allzeit Loyalen und Disziplinierten, der in allen Lebenslagen Verlässlichen. Ob es dies Preußen in der Realität jemals gegeben hat? In meinen Zeichnungen und seinen Balladen auf jeden Fall. Beide mochten wir das protzige Preußen des Kaiserreiches mit seinem Waffengeklingel und seinem Kasernenhofton nicht. Das konnten wir bereits feststellen, als wir zwei Jahre nach der Revolte von 1848 gemeinsam dem literarischen Verein „Tunnel über der Spree“ angehörten, dem Fontane bereits 1844 beigetreten war.
Übrigens war vor mir bereits Franz Kugler Mitglied in dieser Literaten-Gesellschaft. Ja, genau jener Kugler, der bereits 1840, mit 32 Jahren, eine Biografie Friedrichs des Großen vorgelegt hatte, die noch immer ihre Gültigkeit bewahrt hat. Zusammen mit meinen Zeichnungen wird sie immer wieder aufgelegt.
Zurück zu Fontane. Ich habe an ihm bewundert, dass für ihn Preußen und Demokratie keinen Gegensatz darstellten. Oder wie ist es anders zu verstehen, wenn er einerseits den Demokraten der Märzrevolution nahestand und für sie in radikal-demokratischen Zeitungen schrieb, andererseits aber mit seinen „Acht Preußen-Liedern“ bei den Royalisten Beifall einheimste. In diesen Gedichten setzte er den alten Haudegen der friderizianischen Kriege ein menschliches Denkmal. Nicht anders, als ich es mit meinen Zeichnungen und Gemälden getan habe.
Wir haben beide das alte Preußen besungen – er mit seinem Federkiel, ich mit dem Kreidestift und dem Malerpinsel. Ich denke, er glaubte nach der gescheiterten Revolution an eine deutsche Einigung unter preußischer Führung. Und dafür wollte er Preußen von seinen besten Seiten vorstellen. Mich hätte interessiert, wie Fontane mit Leben und Werk Friedrichs des Großen umgegangen wäre. Und hätte ich es gewusst, würden dann meine Sanssouci-Tafelbilder „Flötenkonzert“ und „Tafelrunde“ anders aussehen?