Dieudonné Thiébault (1733 – 1807)
Über einen genauen Beobachter
Geboren 1733 in den Vogesen, kam ich im Jahr 1765 als Professor für französische Sprache nach Berlin. Meine Aufgabe war, die Schriften Friedrich II. zu korrigieren. Der König legte Wert darauf, dass ich keinesfalls die deutsche Sprache erlerne, um mein sauberes Französisch zu erhalten, das er so schätzte. Er mochte aber auch die gepflegte Konversation zu allen Fragen der Politik, der Philosophie und der Wissenschaften. Fast zwanzig Jahre lang, bis 1784, blieb ich am Hof in Berlin und veröffentlichte 1804 in Paris meine Erinnerungen an diese Zeit. Hier ein paar Kostproben.
Die beim preußischen Hof beglaubigten Gesandten mussten sich normalerweise in Berlin aufhalten. Sie konnten zwar die Stadt verlassen, aber in Potsdam und Charlottenburg durften sie sich nicht zeigen, wenn sich der König dort aufhielt. Es sei denn, sie hatten vorher um Erlaubnis gebeten. Er bemühte sich, diese Orte frei von Spionen zu halten. Die Vertreter fremder Mächte sahen den König also nur zu ganz seltenen Gelegenheiten, ausgenommen zur Karnevalszeit, wenn er für längere Zeit in Berlin weilte. Dann fand jeden Sonntag morgens um zehn Uhr die Audienz statt, zu der sich auch das diplomatische Corps einstellte. Selbst dann erschien der König nicht immer. Man wartete auf ihn bis zwölf Uhr und zog sich dann zurück. Und wenn er kam, blieb er meist nur eine Viertelstunde, um mit diesem oder jenem ein Wort zu wechseln.
Französischer Botschafter am preußischen Hof war Adrien-Louis de Bonnières, duc de Guînes. Er kam erstmals 1766 nach Preußen als Zuschauer zu den großen Manövern. Der König erlaubte ihm, ihn nach Magdeburg und Pommern zu begleiten. Das Wesen und der Esprit des französischen Edelmanns gefielen dem König so sehr, dass er bei dessen Abschied gestand, er hätte wenige französische Offiziere erlebt, die so viele Talente hätten. Diese Bemerkung bewirkte, dass König Ludwig XV. bei der Wahl eines neuen Gesandten für Berlin zugunsten des Herrn de Guines entschied.
Die Hauptbeschäftigung des Herrn de Guines in Berlin war das Studium der preußischen Heereseinrichtungen. Er sagte ganz offen, dass er deswegen in Berlin sei. Man sah ihn bei allen Paraden und Truppenübungen. Wenn die Regimenter anrückten, war er schon an Ort und Stelle. Er vorfolgte alle Bewegung mit der größten Aufmerksamkeit. Seine Beharrlichkeit machte schließlich die preußischen Generäle zornig. Die Aufmerksamkeit des unverdrossenen Zuschauers wurde ihnen peinlich und sie versuchten alles Mögliche, um diesem Argusauge zu entgehen. Auch Avancen, die man ihm durch befreundete Damen der Hofgesellschaft machen ließ, blieben fruchtlos. Schließlich ergab man sich in seine Gewohnheit, die er bis zu seinem Scheiden aus Berlin beibehielt.
Der französische Außenminister hatte sich ein sehr gutes Mittel ausgedacht, um die französischen Soldaten abzuhalten, sich von preußischen Werbern zur Desertion verlocken zu lassen. Er ließ in jedes Regiment einige Soldaten einstellen, die die ganze Härte der friderizianischen Disziplin am eigenen Leibe erfahren hatten. Der Botschafter bediente sich der Hilfe einiger verlässlicher Diener. Diese schlossen mit den Soldaten aus ihrer Heimat Freundschaft, gewannen deren Vertrauen und boten ihnen schließlich ihre Beihilfe zur Flucht an. Auf diese Weise entführte Herr de Guines dem König von Preußen in weniger als zehn Monaten eine stattliche Zahl von Soldaten, ohne dass irgendein Mensch eine Ahnung davon hatte.
Friedrich, den Herrn de Guines als Besucher so überaus freundlich aufgenommen hatte, zeigte ihm als Gesandten eine auffallende Kälte des Benehmens. Bei einer seiner Sonntagsaudienzen drehte er ihm sogar den Rücken zu und tat so, als ob er ihn nicht bemerkte, während er sich mit anderen Gesandten leutselig unterhielt.