Mathilde von Rohr (1810 – 1889)
Eine Vertraute im Nonnengewand
Theodor Fontane war der feinste Mensch, dem ich je begegnet bin. Er hat sich das Leben nicht leicht gemacht. Für ihn waren Friede und Freiheit das, was ihm ein echtes Glück ausmachten. Stets war er darauf bedacht, die eigene Freiheit nicht zur Unfreiheit seiner Nächsten werden zu lassen. Leicht war das nicht, denn seine Freiheit bedeutete für ihn nicht selten schwere Entscheidungen und auch Entbehrungen. Wie ich zu diesem Urteil komme, wollen Sie wissen. Nächst seiner Ehefrau war ich seine engste Vertraute. Unser Kontakt bestand zuallererst aus vielen Gesprächen in Berlin und dann einem häufigen Briefverkehr zwischen Berlin und dem Kloster Dobbertin. 230 Briefe sind davon überliefert, die meisten kann man in Büchern nachlesen. Darin hat er mir sein Herz ausgeschüttet.
Jetzt wollen Sie wohl wissen, wer ich überhaupt bin. Mein Name ist Mathilde von Rohr. Ich entstamme einem alten märkischen Adelsgeschlecht. Allerdings sind meine Vorfahren ein Beispiel dafür, dass Adel und Reichtum nicht immer einhergehen müssen. Als sechstes von acht Kindern war klar, dass mein Vater für mich keinesfalls die Mitgift für eine gute Verheiratung aufbringen konnte. Also wurde ich ins mecklenburgische Damenstift von Kloster Dobbertin eingeschrieben.
Aufgenommen wurde ich dort allerdings erst im 59. Lebensjahr. Die folgenden zwanzig Jahre sollte ich bei gesicherter Versorgung dort verbringen. Doch zuvor lebte ich bis zu ihrem Tod bei meiner Mutter. Sie unterhielt – damals nicht unüblich – einen kleinen literarischen Salon. Dort lernte ich Theodor Fontane kennen. Wir plauderten ausgiebig und angeregt. Später bekannte er: Diese „verplauderten Stunden zählen zu meinen glücklichsten“. Aus den Gesprächen wurde ab 1859 ein reger Briefverkehr. Ich erinnere mich gut, dass er 1876 in den schweren Wochen, als er sich vom sicheren Amt des Ständigen Sekretärs der Akademie der Künste lossagte, um in das unsichere Leben eines freien Schriftstellers zu wechseln, meinen Beistand suchte.
Am 1. August 1870 besuchte der märkische Dichter mich erstmals im Kloster Dobbertin und blieb eine Woche dort. Bei seiner Abreise schickte ich noch eine großzügige Spende für verwundete Soldaten des 1870er Krieges gegen Frankreich mit ihm nach Berlin. Ein Jahr später, Fontane hatte die schreckliche Zeit als Kriegsgefangener heil überstanden, war er wieder in Dobbertin. Diesmal blieb er länger als zwei Wochen. Ich weiß, dass er sich eifrig Notizen machte, um später über das Klosterleben zu schreiben. Tatsächlich veröffentlichte er 1893 – vier Jahre nach meinem Tod – einen biographischen Essay über mich in der beliebten Familienzeitschrift Daheim. Dieser Text wurde erstmals 1903 in die 8. Auflage des Bandes „Die Grafschaft Ruppin“ der „Wanderungen“eingefügt.
In seinem Text über mich gab er unumwunden zu, dass er mir zahlreiche Begebenheiten aus der märkischen Geschichte zu verdanken hat: „Wohl ein Dutzend der lesbarsten Kapitel in meinen „Wanderungen“ verdanke ich ihrem nie rastenden Eifer, der mir Empfehlungsbriefe schrieb und mir mitunter auch fix und fertige Beiträge verschaffte, die nur ein wenig der Zurechtstutzung bedurften.“ Und dann meinte er: „Den Stoff zu meinem kleinen Roman ‚Schach von Wuthenow‘ habe ich in allen Details von ihr erhalten…“ Übrigens, seine Freundschaft zu mir übertrug sich auch auf seine Tochter. Für Mete war ich die „Tante Rohr“, und sie besuchte mich 1882 im Kloster, um ebenfalls mit mir zu plaudern.