Gustav Kühn (1794 – 1868)
Erste Eindrücke eines künftigen Journalisten
Theodor Fontane, der Grandseigneur des Berliner Journalismus, hat meine „Neuruppiner Bilderbogen“ stets sehr wohlwollend begleitet. Nein, sie waren für ihn nicht der Höhepunkt des Pressewesens. Er brauchte nicht die vereinfachten Darstellungen der großen Ereignisse unserer Zeit, um sich sein Weltbild zu erschaffen. Lesen Sie seine Balladen und Sie werden erleben, welche Kunstfertigkeit er in der Schilderung ferner und atemberaubender Geschehnisse besaß. Aber Fontane zeigte viel Respekt vor der Kunst unserer Bilderbogen. Ich selbst bin gebürtiger Neuruppiner. Nach meinem Studium an der Berliner Kunstakademie übernahm ich 1822 die Firma meines Vaters.
Wir waren einerseits eine ganz normale Buchdruckerei und andererseits ein Verlag, der Blätter mit handkolorierten Bildergeschichten herstellte und vertrieb. Ich bin sicher, dass bereits der Gymnasiast Fontane diese Dreipfennig-Bögen staunend in der Hand hielt und sich mit ihrer Hilfe in ferne Welten träumte. Vielleicht legten sie sogar den Grund für seine schriftstellerische Fantasie. Nach Fontanes Worten illustrierte der Kühn‘sche Bilderbogen, lange bevor die erste »Illustrierte Zeitung« in die Welt ging, die Tagesgeschichte. „…und was die Hauptsache war, diese Illustration hinkte nicht langsam nach, sondern folgte den Ereignissen auf dem Fuße“.
Ich zeichnete viele der Bilder selbst und versah sie mit eigenen Texten. Dabei hielt ich stets auf Ordnung und Moral. Erst 1939 erschien mit der Motiv-Nummer 10.337 der letzte Kühn‘sche Bilderbogen. Manche von ihnen erreichten sogar eine Millionenauflage und gingen um die Welt. In seinen „Wanderungen“ hat Theodor Fontane mir ein kurzes Kapitel gewidmet. Immerhin hatte er mit dem Kronprinzen, Schinkel, den Gentz-Brüdern und manch anderen Persönlichkeiten aus Neuruppin vorzustellen. Selbst in diesen wenigen Zeilen spürt man genau, wie er sich beim Schreiben erneut in fremde Länder versetzte.
Mit dem Kühn‘schen Bilderbogen schickte er seine Leser auf die Reise zum König von Dahomey. Und weiter: „Den Marañón und den Orinoco aufwärts, wo die Kolibris wie Blüten und die Blüten wie Schmetterlinge sich schaukeln, dort, wo alles Glanz und Farbe ist, tritt er kühn und siegreich auf und stellt die Kolorierkunst seiner Schablone – die, unbeeinflusst von den neuen Gesetzen der Farbenzusammenstellung, ihre ehrwürdigen Traditionen wahrt – siegreich in den Zauber der Tropennatur hinein. Auf den Inseln der schottischen Westküste war es mir selbst vergönnt, diese Landsleute, diese Boten aus der engeren Heimat, zu begrüßen.“
Nun möchte ich allerdings nicht den Eindruck erwecken, Fontane habe seine umfassende, vor allem geschichtliche Bildung nur mir zu verdanken. Keinesfalls! Er partizipierte bereits in jungen Jahren vom umfassenden Wissen seines Vaters. Man stelle sich vor: Zu seinem zwölften Geburtstag bekam er als Geschenk Schellers Lateinisch-Deutsches Lexikon in vier Bänden, Stielers Atlas aus Gotha und Beckers Weltgeschichte. Sein Leben lang hat Fontane aus Gewohnheit Zeitungen gelesen – auf Deutsch, Englisch und Französisch. Fontane wusste, was in der Welt geschah.