Amelie Dietrich (1821 – 1891)
Heiß ersehntes Reiseziel Australien
Nein, dem Herrn Fontane bin ich nie begegnet, auch wenn wir beide als Wanderer und Sammler in die Geschichte eingegangen sind. Ich wurde eineinhalb Jahre nach ihm im sächsischen Siebenlehn geboren, weit weg von Neuruppin. Aber nah waren wir uns trotzdem, denke ich jedenfalls. Mein Vater war ein einfacher Beutler, einer, der aus Lederresten vor allem Beutel herstellte.1846 habe ich geheiratet. Und zwar den Apotheker Wilhelm Dietrich. Für diesen Beruf musste er sich gut in der Heilpflanzenkunde auskennen. So wie Theodor Fontane auch. Mein Mann und ich haben uns aber nicht nur für die medizinische Wirkung von Pflanzen interessiert, nein, wir sahen auch die Schönheit der Blüten und wollten wissen, wie die Pflanzen miteinander verwandt waren. Wir verstanden uns als Botaniker im besten und weitesten Sinn des Wortes. Nach der Geburt unserer Tochter Caritas gab mein Mann seine Apothekerstelle auf und wir versuchten, durch den Verkauf von botanischen Artikeln unseren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das war schwieriger als gedacht, denn kaum jemand hatte Interesse an unseren in Herbarien zusammengetragenen Proben und Präparaten.
In ganz Deutschland waren wir unterwegs, besuchten wissenschaftliche Einrichtungen, Sammler und Apotheker. Meinem Mann war das aber bald zu mühsam und er suchte sich in der Heimat eine Anstellung als Privatlehrer. So musste ich allein losziehen. Für die Bahn oder gar für Kutschen reichte nie das Geld. So war ich zu Fuß zwischen Holland und Tirol unterwegs. Einen Hund hatte ich mir angeschafft, der meinen kleinen Handwagen mit den Waren zog. Kilometer um Kilometer, Monat für Monat. Sogar Thyphus habe ich mir dabei geholt. Meine Tochter lebte damals bei fremden Leuten, denn ihrem Vater war die Kinderbetreuung Weibersache. Ich aber sah keinen anderen Lebenszweck, als Pflanzen zu sammeln, zu systematisieren und zu verkaufen. Es liegt bei Ihnen, liebe Leser, meine Wanderschaft mit der des Theodor Fontane durch die Mark Brandenburg zu vergleichen. Als ich mich 1862 in Hamburg aufhielt, wurde ich mit dem Hobby-Botaniker Heinrich Adolph Meyer bekannt gemacht. Er kaufte mir meine gesamte Sammlung auf einen Schlag ab.
Und er stellte mich dem Reeder Cesar Godeffroy vor. Seine Schiffe segelten vornehmlich in die Südsee und er war dafür bekannt, dass er Wissenschaftlern die Möglichkeit gab, sich mit auf Reisen zu begeben. Nach langem Hin und Her durfte ich mit. Der Reeder erteilte mir einen zehnjährigen Forschungsauftrag in Australien zur Erforschung der Tier- und Pflanzenwelt. Fast mit jedem Schiff, das von Brisbane aus nach Deutschland ablegte, schickte ich Kisten mit dem Gesammelten nach Hause. Es ist hier nicht der Platz, über alle meine australischen Abenteuer zu berichten. Ich bedauere sehr, dass ich durch die Übersendung von Gebeinen der australischen Ureinwohner viel später ins Gerede gekommen bin. Mit deren Tod hatte ich jedenfalls nichts zu tun.
Sehen Sie, die Sammlungen von Theodor Fontane bestanden in Geschichten aus der Mark Brandenburg, meine aus Kisten aus Australien. So unterschiedlich können Sammlungen sein! Nachdem ich nach zehn Jahren zurückgekommen war, durfte ich mich selbst bei einem auskömmlichen Gehalt um die Sammlungen kümmern. Ich starb mit fast 70 Jahren in den Armen meiner – jahrelang von mir vernachlässigten – Tochter. Theodor Fontane erhielt in jenem Jahr den Schillerpreis und hatte noch sieben Jahre zu leben. Aus meiner Tochter ist übrigens unter dem Namen Caritas Bischoff eine Schriftstellerin geworden. Ihr bekanntestes Buch war die Lebensgeschichte über mich. Aber, im Vertrauen, darin war viel Ausgedachtes.