Friedrich Christian Thormeyer (1765 – 1837)
Ein Schuldirektor, wie er im Buche steht
Ich kannte Theodor Fontane in einer Zeit, in der er noch lange nicht der berühmte Schriftsteller späterer Jahre war. Es war kurz vor Ostern 1832, als er mit seiner Mutter aus Swinemünde nach Neuruppin kam. Die Ehe der Eltern befand sich in Auflösung, und sie glaubte, in der Stadt, in der sie einst ihre glücklichsten Jahre verlebt hatte, dem Sohn einen zukunftsträchtigen Schulabschluss bieten zu können. Die beiden stiegen in einer Pension ab, die der einstigen Apotheke des alten Fontane direkt gegenüberlag. Für die Mutter war dieses Wiedersehen mit dem Löwen über der Eingangstür sehr schmerzhaft. Am folgenden Tag machten sie sich auf den Weg zur Schule. Als Direktor stand mir hier eine Wohnung zu, in der der kleine Fontane eine Bleibe finden konnte. An Platz mangelte es hier nicht.
Das Gymnasium war eins der ersten Häuser, die nach dem großen Stadtbrand von 1787 errichtet wurden. Benannt wurde es nach König Friedrich Wilhelm II., an den direkt gegenüber der Schule eine von Schinkel entworfene Statue erinnert. Auf dem mittleren der drei weiträumigen Stadtplätze errichtet, gleicht es in Baustil und Ausmaßen einer Schlossanlage. Gemäß den Ideen der Aufklärung stand nun dort, wo Fremde eine Residenz erwarten, eine Schule. Ich selbst hatte fast das Pensionsalter erreicht und war unter Gelehrten kein Unbekannter. Hatte ich doch das Werk „Von der Vorsehung, oder warum es dem Tugendhaften übel gehe, da es doch eine Vorsehung geben soll“ aus dem Lateinischen übersetzt.
Ein paar Zeilen hatte Fontane später in seinen Kindheitserinnerungen sogar für mich übrig: „Wir gingen im Laufe des Vormittags nach dem großen Gymnasialgebäude, das die Inschrift trägt: ‚Civibus aevi futuri‘ (Den Bürgern des künftigen Zeitalters). Ein solcher civis, ein freier Bürger also, sollte ich nun auch werden, und vor dem Gymnasium angekommen, stiegen wir die etwas ausgelaufene Treppe hinauf, die zum ‚alten Thormeyer‘ führte. Er war vordem Direktor in Stendal gewesen und hatte das Direktorat dort aufgeben müssen, weil er sich an einem Lehrer »vergriffen« hatte. Glücklicherweise wußt‘ ich damals noch nichts davon, ich hätte mich sonst halbtot geängstigt. Oben angekommen, trat uns ein mindestens sechs Fuß hoher alter Herr entgegen, gedunsen und rot bis in die Stirn hinauf, die Augen blau unterlaufen, das Bild eines Apoplektikus – er hätte auf der Stelle vom Schlag gerührt werden können.“
Schmeichelhaft war das für mich nicht. Es aber zu verheimlichen, ist schließlich sinnlos. Man darf auch nicht vergessen, dass der Knabe Theodor Lehrer als Autoritätspersonen nicht kennengelernt hatte. Seine schulische Bildung hatten ihm die Eltern vermittelt. Wie sich zeigte, hatten sie dabei ein glückliches Händchen. Ich ließ den Besucher ein paar Zeilen aus dem Lateinischen übersetzen. „Ich tat wie geheißen, und es ging auch wie Wasser“, schieb er später. Er war reif für die Quarta.
Aber was hat ihm die Schule gebracht? Lesen Sie selbst: „Was ich dahin mitbrachte, war etwa das Folgende: Lesen, Schreiben, Rechnen; biblische Geschichte, römische und deutsche Kaiser; Entdeckung von Amerika, Cortez, Pizarro; Napoleon und seine Marschälle; die Schlacht bei Navarino, Bombardement von Algier, … und beinah sämtliche Schillersche Balladen. Das war, einschließlich einiger lateinischer Brocken, so ziemlich alles, und im Grunde bin ich nicht recht darüber hinausgekommen. Einige Lücken wurden wohl zugestopft, aber alles blieb zufällig und ungeordnet, und das berühmte Wort vom ‚Stückwerk‘ traf auf Lebenszeit buchstäblich und in besonderer Hochgradigkeit bei mir zu.“