Prinz Heinrich (1726 – 1802)
Der kleine Bruder
Ich bin Prinz Heinrich, geboren als 13. Kind meiner Eltern Friedrich Wilhelm I. und Sophie Dorothea. Wie mein Bruder Friedrich, der als erstgeborener Sohn natürlicher Thronerbe war, kam ich zur Berliner Ballsaison im Januar zur Welt, aber nicht wie er als Sonntagskind. Ich kam an einem Freitag. Obwohl viele meinten, ich sei an Geisteskräften, Charakterstärke und Umsicht meinem ältesten Bruder überlegen, konnte ich mir niemals Hoffnung machen, den preußischen Thron zu besteigen. Einen anderen schon. Wussten Sie, dass mir zweimal die polnische Krone angetragen wurde und nur die Intervention meines Bruders Friedrich verhinderte, dass ich eine Herrschaft an der Weichsel übernahm. Dass ich König der USA werden sollte, wurde niemals ernsthaft erörtert. Aber eine Option war es für den Fall, die Gründungsväter der Vereinigten Staaten hätten sich anstelle einer Republik für eine Monarchie entschieden. Dass ich überhaupt ins Gespräch kam, mag wohl darin begründet gewesen sein, dass ich als Mensch mit liberalen Ansichten und viel diplomatischem Geschick galt. Übrigens hatte ich keine Probleme mit den französischen Revolutionären. Bei den Berliner Hofschranzen hatte ich den Spitznamen „Jakobiner“. Meinen politischen Rat wollte bei Hofe keiner hören. Vielleicht wollten sie nicht hören, dass das alte Preußen dem Untergang entgegenwankte. Zum Glück musste ich das Debakel von Jena und Auerstädt nicht miterleben. Ich hatte diese Welt vier Jahre zuvor verlassen.
Nun sollte ich Ihnen aber meine Meinung über meinen Bruder Friedrich mitteilen. Welche Meinung wollen Sie hören? Die des dankbaren kleinen Bruders, der in Berlin von ihm ein Palais, fast so groß wie das ganze Schloss, und außerdem noch das Rheinsberger Anwesen geschenkt erhielt und der an seiner Seite eine glanzvolle militärische und diplomatische Karriere machen konnte (mein Bruder meinte später, ich sei der einzige General im Siebenjährigen Krieg gewesen, der keinen Fehler beging). Oder wollen Sie die Meinung eines Bruders hören, der vom Älteren ebenso despotisch behandelt wurde wie der einst von seinem Vater? Auch ich musste in eine Zwangsheirat einwilligen, um dem herrischen Regime zu entkommen. Nur war es das von Bruder Friedrich.
Die mir zugeschriebenen Zitate, ich habe meinen Bruder als „Hanswurst“, „die gemeinste Bestie, die Europa hervorgebracht hat“, „unser Wüterich“ und ähnlich beschrieben, kann ich nur bestätigen. Man sagt, das erste Denkmal für Friedrich „den Großen“ stehe in Neuhardenberg. Das 1792 errichtete Monument zeigt die Dichtergöttin Minerva und den Kriegsgott Mars, wie sie Friedrich betrauern. Ich sage Ihnen aber, dass ich gegenüber meinem Rheinsberger Schloss bereits 1790 ein Denkmal errichten ließ. Nur erinnert das nicht an die großen Taten Friedrichs, sondern an seine Missetaten. Der weithin sichtbare Obelisk erinnert an 29 Heerführer, die Opfer der „Kriegskunst“ Friedrichs wurden oder schwer unter ihm zu leiden hatten. Es bestand kein Grund, den König selbst dort zu verewigen. Auch das ist ein Denkmal! Ein sehr ehrliches.
Aber vielleicht sollte ich viel mehr über die schönen Dinge berichten, und die haben viel mit Rheinsberg zu tun. Später sollte das Schloss am Grienericksee als der Ort in die Geschichte eingehen, wo Friedrich ein paar schöne Jahre als Kronprinz verlebt hat. Ich habe dort 50 Jahre verlebt (nur vom Krieg unterbrochen). Und was für Jahre! Wir unterhielten hier einen Musenhof, um den uns selbst die Berliner beneiden konnten. Mindestens zweimal in der Woche gab es Theater, der Park wurde zur Sehenswürdigkeit und wir gründeten eine Fayencemanufaktur. Wir feierten Feste, die keiner vergaß. Höhepunkt war der Geburtstag meines jüngeren Bruders Ferdinand am 25. Mai. Stets gab es eine neue Theaterinszenierung und einen rauschenden Ball. Und es gab eine Bauernhochzeit. Dafür suchte ich mir ein armes Bauernpaar aus, kleidete es ordentlich ein und spendierte allen Gästen das Hochzeitsessen in meinem Park. Ich und unser gesamter Hofstaat nahmen – selbstverständlich in Bauerntracht gekleidet – daran teil. Wenn Sie mögen, besuchen Sie mein Grab nicht weit vom Rheinsberger Schloss. Es ist eine Pyramide, der die Spitze weggebrochen wurde.