Karl Zöllner (1821 – 1897)
Seine Briefe hielten mich bei Laune
Es würde mich nicht wundern, wenn Sie meinen Namen hier zum ersten Mal lesen. Als preußischer Justizbeamter bot mein Leben nichts, was der umfassenden Erwähnung wert gewesen wäre. Wenn da nicht die lebenslange Freundschaft mit Theodor Fontane wäre. Auch meine Frau gehörte zu seinem Freundeskreis. Unsere Bekanntschaft ergab sich bereits im künstlerisch-literarischen Kreis namens „Rütli“, dem auch Staatsdiener wie ich samt Ehefrauen angehören konnten, wenn sie nur musisch genug eingestellt waren. Ich interessierte mich vor allem für Malerei und war in meinen letzten Lebensjahren sogar Ehrenmitglied der Sektion der Bildenden Künste.
Im Januar 1876 konnte ich Fontane einen großen Dienst erweisen: Ich verschaffte ihm die Stelle des Ersten Sekretärs der Akademie der Künste und bot ihm damit die Möglichkeit, endlich ein festes Einkommen zu erlangen. Die Urkunde seiner Bestellung hatte der Kaiser persönlich unterschrieben. Besonders für seine Frau Emilie war das eine gute Nachricht. Leider hat Fontane dort nach nur einem halben Jahr wieder aufgehört. Ihm war die Freiheit des Schriftstellers lieber als das regelmäßige Gehalt.
Am liebsten erinnere ich mich jedoch an die vielen Briefe, die mir Fontane aus der Ferne geschrieben hat. 1874 und 1875 reiste er nach Italien. Bei der ersten Fahrt, die immerhin 50 Tage dauerte, begleitete ihn Emilie. Sie besuchten Rom, Venedig, Verona, Florenz und Neapel. Vielleicht hielt er dieses große Programm für eine Anstellung bei der Akademie der Künste für erforderlich. Seine Briefe aus dem Süden waren allerdings nicht dazu angetan, meine Reiselust dorthin zu wecken. Die italienische Kunst hielt er für langweilig. So durfte ich lesen: „Und als ich schließlich in einer kleinen Dogen-Kapelle einem Albrecht Dürerschen Christuskopf begegnete, atmete ich auf; dieser eine Kopf repräsentierte in meinen Augen mehr wahre Kunst, als alle Tintorettos zusammengenommen.“ Venedig sei zwar hübsch, schrieb er, „aber es repräsentiert doch nicht die Form der Schönheit, die ich dauernd vor Augen haben möchte!“. Und in Rom gefielen ihm die antiken Ruinen besser als die prunkvollen Kirchen.
Keinesfalls möchte ich Ihnen vorenthalten, was mir Theodor Fontane 1889 über seinen Besuch der Wagner-Festspiele aus Bayreuth schrieb. Die Neugier des Theaterkritikers trieb ihn von Bad Kissingen aus, wo er zur Kur weilte, zu diesem Spektakel. Die Opernmusik war seine Sache nicht. Auch die Texte von Richard Wagner, die er schon zuvor gelesen hatte, bereiteten ihm „nichts als Kopfweh, Verwirrung und Unbefriedigtsein“. Über Bayreuth schrieb er: …“ malerisches Drecksnest und dazwischen das denkbar feinste Publikum… Ich sehe aber ein, daß die ganze Geschichte doch nur für Lords und Bankiers ist, so daß man eigentlich nicht hinzugehört…“
Die Opernaufführung selbst entwickelte sich zur Katastrophe. Beim „Parzifal“ ist er nicht über die Ouvertüre hinausgekommen. Als die zu Ende ging, fühlte er deutlich: “Noch drei Minuten, und du fällst ohnmächtig oder tot vom Sitz.“ Also verließ er fluchtartig seinen Platz im Zuschauerraum. Dabei musste er sich an angefühlt vierzig Leuten vorbeidrängeln. „… als ich draußen war, erfüllte mich Preis und Dank. Nur das Dankgefühl des Türhüters konnte mit dem meinigen rivalisieren. Denn er kriegte nun mein Billet, das er sofort für fünfzehn Mark oder auch noch teurer (denn es wurden ganz unsinnige Preise gezahlt) an draußen Wartende verkaufen konnte. Mein ‚Tristan‘-Billet schickte ich am anderen Morgen zurück und vermachte den Betrag einer frommen Stiftung.“ Verstehen Sie jetzt, dass ich mich über jeden Brief von Theodor Fontane besonders gefreut habe?