Wilhelm Rose (1781 – 1841)
Lehrer in Pharmazie und Literatur
In meiner Berliner Apotheke „Zum weißen Schwan“ in der Spandauer Straße, nicht weit vom Hackeschen Markt entfernt, reifte Theodor Fontane von 1836 bis 1840 gleichermaßen zum Apotheker wie zum Schriftsteller. Bei aller Bescheidenheit: Das geistige Klima in meinem Hause war dafür bestens geeignet. Mein Vater war der Vormund des Baumeisters Karl Friedrich Schinkel, nachdem dieser seinen Vater beim großen Neuruppiner Stadtbrand von 1787 verloren hatte. Schinkels Mutter war eine geborene Rose. Er half uns, die Apotheke „Zum weißen Schwan“ 1802 nach neuesten Erkenntnissen umzubauen. Immerhin hatten bereits meine Vorfahren das Familienunternehmen zu einer anerkannten Forschungsstätte der deutschen Pharmazie gemacht, die viele Gelehrte anzog. Dabei spielte Martin Heinrich Klaproth, der Herausgeber des ersten preußischen Arzneibuchs, eine wichtige Rolle.
Nun wieder zu Theodor Fontane. Er war außerordentlich wissbegierig und lernte schnell. Dadurch konnte ich ihm von den vier Jahren, auf die die Apotheker-Lehre angesetzt war, ein halbes erlassen. Dennoch blieb er noch ein ganzes Jahr bei mir. Über diese Zeit verfasste Fontane in seinem autobiografischen Roman „Von Zwanzig bis Dreißig“ ein ganzes Kapitel. Mich beschrieb er darin ziemlich ironisch als einen skurrilen Menschen mit einer besonders hohen Meinung von sich selbst. Einer meiner hervorstechenden Charakterzüge sei es gewesen „alles, was von ihm ausging oder ihm zugehörte, gründlich zu bewundern, versteht sich von selbst; seine Apotheke war die berühmteste, sein Laboratorium war das schönste, seine Gehülfen und Lehrlinge waren die besten oder doch wenigstens durch sein Verdienst am besten untergebracht, und seine Kerbelsuppe (die wir jeden Mittwoch kriegten – eine furchtbare Semmelpampe) war die frühlingsgrünste, die gesündeste, die schmackhafteste. Jegliches, was seine Hand berührte, nahm schon dadurch einen Höhenstandpunkt ein, in Wahrheit aber war alles nur knapp zu mittelmäßig.“ So hat er es mir gegeben.
Aber gerecht war er trotzdem, der Fontane. Er hielt mir zugute, dass ich schon etwas von der Welt gesehen hatte: England, Frankreich, Italien… Besonders die Schweiz hatte es mir angetan. Allzu gern hielt ich darüber „vor einem aus jungen und zum Teil recht hübschen Professorenfrauen“ zusammengesetzten Kreis gelehrte Vorträge. Bleiben wir bei Fontane: „Er war dann, den ganzen Tag über, in einer höchsten Aufregung, schnaufte durchs ganze Haus hin – wie denn Schnaufen überhaupt eine Haupteigenschaft von ihm war – und schleppte dabei Reliefkarten und illustrierte Werke vier Treppen hoch auf einen kleinen, achteckigen Turm hinauf, der, ganz oben, mit einem mit vielen bunten Aussichtsglasscheiben reich ornamentierten Zimmer abschloß. Stieg man dann, und zwar durch eine aufzuklappende Lukentür, noch etwas höher hinauf, so hatte man, von einer umgitterten Plattform aus, einen wundervollen Überblick über Alt-Berlin. In diesem Turmzimmer, das nach Alchimie und Astrologie, nach Faust und Seni schmeckte, versammelten sich die zur Vorlesung geladenen Damen, und ich sage schwerlich zu viel, wenn ich ausspreche, daß der alte Rose in diesem Allerheiligsten die glücklichsten Stunden seines Daseins verbracht habe.“
In meiner Apotheke fand der Lehrling und spätere Gehilfe Fontane eine große Auswahl der damaligen Gegenwartsliteratur – und er verschlang sie in erstaunlichem Tempo. Ich sorgte gern für Nachschub. Auch führte er sich den von mir abonnierten „Telegraph“ zu Gemüte. Doch damit nicht genug: In ruhigen Minuten kritzelte er sogar eigene Verse aufs Papier. Der Apotheker mauserte sich zum Literaten. Der „Berliner Figaro“ druckte 1839 seine erste, in meinem Haus entstandene Novelle „Geschwisterliebe“ ab. Fontane verließ meine Apotheke, um eine Stelle als Apothekergehilfe in Burg bei Magdeburg anzutreten.