Tuiskon Beutner (1816 – 1882)
Tricksen gehört zum journalistischen Handwerk
Sie staunen über meinen eigentümlichen Vornamen? Wenn Sie meinen, so könnte ein Indianer heißen, dann liegen Sie völlig daneben. Es ist ein anderer Name für Teut, der höchsten Gottheit der Urdeutschen. Sie trat auch unter den Bezeichnungen Wodan, Odin oder Tuhs in Erscheinung. Auf den Tuhstag ging übrigens der Dienstag hervor. Mein Vater war der Bürgermeister von Luckenwalde. So, das hätten wir geklärt. Ich war der Chefredakteur der Neuen Preußischen Zeitung, als Theodor Fontane nach seinen Jahren in England eine feste Anstellung in Berlin suchte.
Ich selbst war seit 1850 in der Redaktion dieser unter anderem von Otto von Bismarck gegründeten, streng konservativen, königsnahen Tageszeitung, die wegen des großen Eisernen Kreuzes im Titel allgemein „Kreuzzeitung“ genannt wurde. Den Posten des Chefredakteurs übernahm ich von Hermann Wagner, einem der Männer der ersten Stunde. Immerhin stieg die Auflage unseres Blattes unter meiner Leitung kontinuierlich. Ab 1888, das war allerdings lange nach meiner Zeit, kam sie sogar an sechs Tagen in der Woche mit jeweils zwei Ausgaben heraus.
Für das, was ich Ihnen jetzt berichten möchte, benötigen Sie starke Nerven. Denn Sie erhalten Einblicke in die damalige journalistische Praxis, von der ich allerdings glaube, dass sie auch heute noch so anzutreffen ist. Und Theodor Fontane war mittendrin. Vorausschicken möchte ich, dass er auch schon in den 1850er Jahren für uns aus London berichtete. Er versorgte uns mit Berichten über die britische Innen- und Außenpolitik, über das Bild Preußens in der britischen Öffentlichkeit, über Literatur, Theater, Sitten und Gebräuche, Verbrechen, sogar über technische Entwicklungen und größere Katastrophen.
Da lag es nahe, dass er auch von Berlin aus britische Themen für uns bearbeitete. Die Konditionen für seine Arbeit waren sehr günstig: täglich drei Arbeitsstunden bei 900 Taler jährlichem Gehalt. Es blieb genügend Zeit für seine sonstigen schriftstellerischen Betätigungen. Später erfuhr ich, dass er unter anderem für seine „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ unterwegs war. Ich ließ ihm gern freie Hand für seine Unternehmungen.
Aber wie kam Fontane an seine Informationen über all das, was sich in Großbritannien und in dessen Kolonien abspielte? Er schrieb aus anderen, meist deutschen und englischen Zeitungen ab. Mal nannte er die jeweilige Quelle, mal verzichtete er darauf. Skrupel über diese Praxis waren zu unserer Zeit unüblich. Bei dieser Praxis kam es nicht in erster Linie darauf an, die beschriebenen Ereignisse selbst bezeugen zu können, sondern die glaubhafte Beschreibung war ausschlaggebend. Wir nannten sie „unechte Korrespondenzen“ – aber sie waren von relativ hohem Anspruch.
Meistens waren sie in Briefform geschrieben, wobei durch erfundene Orts- und Datumsangaben so getan wurde, als seien sie tatsächlich in London abgeschickt worden. Rund 400 solcher „unechten Korrespondenzen“ hat Fontane zwischen 1860 und 1870 für uns geschrieben. Als er aus der Redaktion unserer Zeitung ausschied, war ich längst nicht mehr ihr Chefredakteur. Ihre konservative Haltung passte offenbar schon lange nicht mehr zu seinen liberalen Ansichten, wie sie in seinen späteren Romanen zum Ausdruck kamen.